400 000 Bäume zählen

Der deutsche Wald wird neu vermessen. Ob Eiche, Buche, Fichte oder Kiefer – neue Zahlen über die Bestände sollen her. Doch nicht nur für die Holzwirtschaft sind die Stämme interessant. Pia Heinemann über ein ökologisches Meisterwerk

Ein feiner Duft nach Harz, rötlich-braune, geschuppte Rinde und spitze, grüne Nadeln: Wer einer Fichte zu nahe kommt, wird erst einmal gepikst – und steht wahrscheinlich tief im deutschen Wald. Fichten sind, obwohl ursprünglich eigentlich nicht so weit verbreitet, heute noch immer die häufigsten Bäume in Deutschland. Das liegt an der Geschichte und an der Waldpolitik – und es könnte sich langsam ändern. Momentan laufen wieder die Vorbereitungen fürs Bäumezählen. In den nächsten zwei Jahren steht wieder eine Waldinventur an. In einem Raster von vier mal vier Kilometern durchkämmen die Helfer dann elf Millionen Hektar, eine Fläche, die knapp einem Drittel von Deutschland entspricht und die per Definition dem Begriff „Wald“ zugeordnet wird. Die Helfer zählen und messen nicht nur da, wo Baum neben Baum aufragt; sondern sie vermessen auch „Waldwege, Waldeinteilungs- und Sicherungsstreifen, Waldblößen und Lichtungen, Waldwiesen, Wildäsungsplätze, Holzlagerplätze“. Alles, was man in Deutschland eben so unter dem Begriff „Wald“ summiert. Die Waldprüfer vermessen und bestimmen die Bäume an festgelegten Probepunkten, sie untersuchen ihre Höhe, und Dicke, registrieren durch Wind, Sturm oder Forstmaschinen verursachte Schäden und notieren, wie sich die Bodenvegetation und das Totholz in den vergangenen Jahren verändert haben. „Bei dieser Inventur werden etwa 400 000 Probebäume sehr genau vermessen, um daraus auf den Zustand und die Entwicklung der gesamten Waldfläche Rückschlüsse zu ziehen“, sagt Heino Polley vom Institut für Waldökologie und Waldinventuren des Johann Heinrich von Thünen-Instituts, das die bundesweite Waldstatistik führt. Sie zeigt alles, was wir über den Zustand der rund 8,3 Milliarden Bäume in Deutschland wissen. Die Bäumezählerei ist eine ganze Menge Arbeit – häufig wird das nicht wiederholt. Die letzte Inventur fand 2001/2002 statt, davor wurde 1986 bis 1989 gezählt. Bislang galt, die Inventur könne „bei Bedarf“ auch häufiger wiederholt werden. Aber die Kosten lassen den Bedarf nicht immer besonders dringlich werden. „Mit der kürzlich beschlossenen Novelle des Bundeswaldgesetzes ist nun ein Rhythmus festgelegt, in dem die Baumzähler ausrücken müssen“, sagt Polley. Alle zehn Jahre wird es künftig frische Zahlen geben. Den Ansprüchen internationaler Statistiken genügt das allerdings nicht: Das Kyoto-Protokoll verlangt alle fünf Jahre nach neuen Daten. Aber auch darauf ist die neue Rechtslage eingerichtet: Optional kann auch zwischendurch mal gezählt werden. Denn nicht nur Regenwälder in Amazonien oder Indonesien verändern sich ständig. Sondern auch der mitteleuropäische Mischwald. Das wird spätestens dann klar, wenn man sich die Artenverteilung und -veränderung der vergangenen Jahrzehnte ansieht. Noch gibt es mehr Nadelbäume, vor allem Kiefern und Fichten. Aber Eichen und Buchen holen langsam auf. „Außerdem ist der Holzvorrat im Wald größer geworden – obwohl mehr Holz genutzt wurde“, sagt Polley. „Der Wald hat sich schon immer verändert – mal mehr, mal weniger“, erklärt auch Andreas Schulte vom Institut für Wald und Holz an der Universität Münster. „Alleine in den vergangenen hundert Jahren hat sich viel getan: Die Verteilung der Baumarten hat sich im Laufe der Zeit aus ganz verschiedenen Gründen verändert.“ Die sogenannten Franzosen-, Holländer- oder Engländerhiebe, bei denen nach dem Zweiten Weltkrieg massenweise Holz zugunsten der Besatzungsmächte geschlagen wurde, hätten beispielsweise dazu geführt, dass in den 50er- bis 70er-Jahren massiv wiederaufgeforstet werden musste. Schulte: „Die Rückseite des 50-Pfennig-Stückes mit der pflanzenden Frau erinnerte bis zum Beginn des Euro-Zeitalters an die Wiederaufforstung.“ Da die Böden aber an vielen Orten so ausgelaugt und erodiert waren, musste zunächst die rotstämmige Kiefer gepflanzt werden. Sie war anspruchslos, wuchs schnell und wurde für den Kohlebergbau und als Brennholz gebraucht. Pappeln dienten als Windschutz gegen die Sandstürme, die vom nackten, erodierenden Boden hochgewirbelt wurden. Irgendwann erholte sich dank der Boden aber vom Kahlschlag: „Mit der Zeit sorgte der steigende Stickstoffeintrag von der Industrie und von Autos dafür, dass auch Eiche und Buche wieder gut wachsen konnten“, erklärt Schulte. Und dass diese ursprünglich heimischen Arten wieder häufiger zu sehen sind, wird von Naturschützern und Holzwirten gleichermaßen gewünscht. Die Holz verarbeitende Industrie ist, wie Schulte in seinen Cluster-Studien nachweisen konnte, in Deutschland bereits eines der größten verarbeitenden Gewerbe. „In Nordrhein-Westfalen ist es beispielsweise das produzierende Gewerbe mit den meisten Arbeitsplätzen“, sagt Schulte. „Dass der Wald für die Ökologie, den Boden und den Wasserschutz eine tragende Rolle spielt, ist heute fast jedem klar. Aber kaum einer weiß, dass deutschlandweit mittlerweile rund 900 000 Arbeitsplätze daran hängen.“ Die Globalisierung sei beim Holz angekommen: „Heute wird deutsches Buchenholz nach China exportiert, in Indien ist die europäische Kiefer beliebt.“ Und noch etwas hat sich in der Waldnutzung verändert: „Es wird dramatisch viel mehr verbrannt“, sagt Schulte. Je teurer Erdgas und Erdöl werden, desto mehr Menschen erinnern sich an den Brennstoff Holz. „Mittlerweile hat die Nutzung von Holz sich aber stark von der stofflichen in die energetische Nutzung verschoben.“ „Für den Klimaschutz gibt es nichts Besseres als den Holzbau“, sagt Schulte. Denn in Möbeln und Häusern, in Spanplatten und Fensterrahmen steckt eine Menge Kohlenstoff – der über Jahrzehnte nicht als klimaschädigendes Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen wird. Auch für den Wasserhaushalt sind gesunde, am besten auch baumartenreiche Wälder wichtig. Denn sie kommen besser mit Schädlingen, längeren Trockenperioden oder auch starken Winden klar. Zudem ziehen sie Wasser aus der Atmosphäre, filtern es und sorgen dafür, dass es durch den Boden langsam gereinigt in das Grundwasser gelangt. Gleichzeitig speichern die Bäume Kohlenstoff im Stamm und binden Luftschadstoffe, die sonst ungebremst versickern würden. Wie wichtig ein Wald für die Klimabilanz ist, zeigt eine simple Gleichung: „In einem Kilogramm Holz werden etwa 100 Gramm Kohlenstoff gespeichert“, sagt Schulte. Der Waldboden bindet noch weiteren. Wälder sind auch für die Artenvielfalt wichtig. In Deutschland herrscht auf, in, unter und zwischen den Bäumen die wohl größte Artendichte, nirgendwo gibt es so viele ökologische Nischen: Im Totholz leben Käfer, Asseln, Pilze und Würmer, die Krautschicht besteht aus unzähligen Pflänzchen, die wiederum Nahrung und Lebensraum für kleine und große Tiere sind. Kompliziertere und ausgefeiltere ökologische Netze als im Wald sind selten. Und diese engen Verflechtungen wandeln sich – mal schneller, wenn ein Waldgebiet abgeholzt wird, mal langsamer, wenn klimatische Veränderungen dazu führen, dass Baumarten andere ersetzen. Die Buche ist beispielsweise nicht nur aus forstpolitischen Gründen auf dem Vormarsch. Sie fühlt sich auch dank des Klimawandels in Deutschland immer wohler. „Im Bayerischen Wald etwa wächst die Buche in immer höheren Lagen“, sagt Schulte. „Sie dringt weiter in die Fichtenbestände ein und wird dort konkurrenzfähig.“ Auch in anderen Mittelgebirgen wird die Fichte zu den Gipfeln verdrängt. Der Wald verändert sich ständig. Unwetter wüten, die Holzwirtschaft zieht Bäume raus, und auch neue und alte Schädlinge verändern seine Struktur. Mal dominieren Fichten, dann breiten sich Buchen und Eichen wieder stärker aus. Pflanzen- und Tierarten kommen und gehen. Da lohnt es sich, alle paar Jahre 400 000 Bäume neu zu vermessen. Aus:Welt.de Als Holzplakat oder Schluesselanhaenger beim Kunsthandwerker,interessant auch sein Angebot fuer diesen Monat… E-Mail: artesano_madera@yahoo.es

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