Auf der Suche nach verborgenen Stärken

Verden. Die Verdenerin Kerstin Franz möchte verunsicherten Teenagern zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen. Sie coacht Mädchen und Jungen, damit diese herausfinden, warum sie unzufrieden mit sich sind und wie sie das ändern können.

Tina* schiebt Frust. Während ihre ebenfalls 16-jährige Freundin in der Disco umschwärmt wird, übersieht man sie einfach. Sören* hat ein ganz anderes Problem: Der Junge schreibt nur noch miese Noten, hält sich für eine Null und weiß nicht mehr, wohin mit seiner Wut auf Lehrer, Eltern und den Rest der Welt. Tina und Sören – zwei Teenager, die den Weg zu Jugendcoach Kerstin Franz gefunden haben. Die Verdenerin will ihnen zu einem neuen Selbstwertgefühl verhelfen. „Immer mehr Jugendliche rufen selbst an oder machen über ihre Eltern einen Termin mit mir aus“, hat die 43-Jährige einen aktuellen Trend beobachtet. Coachen statt therapieren, das mag in jungen Ohren nicht nur cooler klingen, so Kerstin Franz. Es helfe auch, Barrieren abzubauen und Hemmschwellen zu senken. Nach dem Motto: Hey, hier ist jemand, der dich coacht, der dir zeigt, wie du deine Ängste überwinden kannst. Aber wie funktioniert das in der Praxis? „Nehmen wir das Beispiel mit der jungen Frau in der Disco“, erläutert Kerstin Franz. „Zunächst einmal muss ich klären, was sie eigentlich möchte: Will sie einfach nur beachtet werden oder sucht sie einen festen Freund? Oder hat diese Frau nur den Druck zu beweisen, dass sie gefragt ist?“ Ist das geklärt, geht es an die Ursachen. Woran liegt die Ignoranz des Umfeldes? Ist es das Outfit, die Mimik, die Körpersprache? Wie wirkt jemand auf Umherstehende? Wie reagiert der- oder diejenige, wenn er oder sie übersehen, gemobbt und provoziert wird? „Genau solche Situationen spielen wir auch in Gruppen vor dem Spiegel durch“, erläutert die Heilpraktikerin für Psychotherapie. „Zum Beispiel im Verdener Mädchentreff. Die Ergebnisse sind oft überraschend – vor allem für die Betroffenen selbst. Denn sie schätzen ihre Wirkung auf andere oft völlig falsch ein.“ Dadurch, dass sich die Mädchen und Jungen selbst richtig einzuschätzen lernen, können sie in Konfliktsituationen souveräner reagieren. Sie werden cooler, erfolgreicher, das Selbstwertgefühl ist gestärkt. Oft liegen die Ursachen aber auch tiefer, hat Kerstin Franz beobachtet. „Immer wieder kommen Menschen mit einer ausgeprägten Sozialphobie zu mir, deren Auslöser weit zurückliegen. Vor kurzem war ein junger Verkäufer bei ihr, der bei jedem Kundengespräch feuchte Hände bekam und nicht in der Lage war, die Kunden anzuschauen.“ Nach einigen Gesprächen fand die Therapeutin den Grund für die Phobie. Als Kind hatte der spätere Verkäufer innerhalb einer sozialen Gruppe eine Situation durchlebt, die ihm extrem peinlich war. Und seitdem waren soziale Kontakte für ihn verbunden mit der Angst vor einer weiteren Blamage. Kerstin Franz gelang es, andere Momente in der Erinnerung des jungen Mannes zu aktivieren – Erinnerungen an soziale Kontakte, die positiv verliefen. Mit der Besinnung auf diese Momente (aha, es geht auch anders!) habe es der Mann geschafft, die Angst zu überwinden, so die Fachfrau. Angst führt oft zu Wut, hat sie beobachtet, und folglich ist die Wut ein anderes zentrales Thema bei den Jugendlichen: „Doch Wut ist verpönt in unserer Gesellschaft, dabei ist sie ein ganz normales Gefühl. Aber wenn man nicht wütend sein darf, dann lernt man auch nicht, mit seiner Wut umzugehen.“ Eine Folge können unkontrollierte Aggressionen sein. Auch hier gilt es, die Gründe aufzudecken. Ein Problem könnten auch die Schule und die Eltern sein. „Der Druck auf die Jugendlichen hat zugenommen, zum Beispiel durch die um ein Jahr verkürzte Zeit am Gymnasium, aber auch dadurch, dass Eltern ihre Kindern auf die falsche Schule schicken und damit überfordern.“ Die wirtschaftliche Situation der Eltern kann ebenso eine Rolle spielen: „Du darfst auf keinen Fall arbeitslos werden wie ich! Also häng’ dich rein!“ So oder so ähnlich seien die Ansagen mancher Eltern. „Die Gelassenheit in der Erziehung ist vielen abhanden gekommen“, bilanziert die Therapeutin. Manchmal sind es gerade die Eltern, die ein Coaching brauchen und zu Kerstin Franz kommen. „Da sind zum Beispiel Mütter, deren Kinder das Haus verlassen haben. Jetzt stehen die Frauen ohne eine konkrete Aufgabe da – sie fühlen sich überflüssig.“ Auch hier gelte es wieder, das Selbstwertgefühl zu stärken, indem neue Ziele gesteckt werden. Das kann ein Hobby sein, eine Arbeit, ein anderer Bekanntenkreis. „Diese Menschen müssen einen neuen Bezug zu sich selbst finden“, erläutert Kerstin Franz. Schließlich sei jeder Mensch auf seine Art wundervoll und könne auch etwas. Nur manche hätten es einfach verlernt, wo ihre Stärken liegen – und diese Schätze zu bergen, genau das sei ihre Aufgabe. Die Praxis von Kerstin Franz liegt im Brunnenweg 67 in Verden (04231 / 9852345).

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