Kampfsport mal ganz anders: Bei Wushu geht es um Schönheit, nicht um Effektivität. Außerdem fehlt einer, der bei Zweikämpfen unerlässlich ist: Der Gegner. Wir haben das einzige Wushu-Training in Franken besucht.»Wushu ist das komplette Gegenteil von allen anderen Kampfsportarten«, sagt Thomas Hacikoglu. Der 28-Jährige muss es wissen, schließlich hat er seit seinem zehnten Lebensjahr nahezu alles von Taekwondo bis Wing Chun durchprobiert und mitgenommen. »Klassischer Kampfsport muss nicht schön aussehen, Hauptsache er ist effektiv. Bei Wushu hingegen zählen die großen Bewegungen statt des kürzesten Weges.«
Zweimal in der Woche ist Training beim TV 1860 Nürnberg Jahn-Schweinau e.V. in der Nürnberger Südstadt. In der historischen Jahn-Halle, die versteckt in einem Hinterhof im Hummelsteiner Weg liegt und vor vier Jahren topschick renoviert wurde, läuft leise Musik über die Boxen unter der Hallendecke. Während sich die Schüler warmmachen, klebt Trainer Hacikoglu einen 14 mal acht Meter großen Teppich auf den hinteren Teil des Hallenbodens. Der markiert das Wettkampffeld. Auf ihm werden die klassischen Wushu-Formen gelaufen: Faust-, Tier- oder Waffenformen, die näher dran sind am Tanz denn an allem, was man gemeinhin so mit Kampfsport assoziiert.
Das Erbe der Mönche
In China sind über 2500 historische Stile bekannt. Was in der Jahn-Halle trainiert wird, ist modernes Wushu – eine Kunstform, die die chinesische Regierung in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts in Auftrag gegeben hat. Aus dem Erbe der alten Shaolin-Mönche wurde ein zeitgemäßes Paket geschnürt, bei dem der Kampfsport-Anteil deutlich in den Hintergrund gerückt ist, zugunsten von Akrobatik, Dynamik und Körperbeherrschung. Judith Zylka kommt das sehr entgegen. »Mir ist wichtig, dass es bei Wushu keinen Körperkontakt gibt«, sagt die einzige Frau in der Runde. »Ich hab’ mal zwei Stunden in Kung Fu reingeschnuppert, aber das war gar nichts für mich.«
Zu Wushu kam die 24-Jährige über ihren Freund. »Das ist genau Deins«, lockte der Herr ihres Herzens – und lag richtig. Seit einem Jahr ist die Studentin (Internationales Wirtschaftsrecht) Feuer und Flamme für den seltenen Sport, hat zweimal die Woche Spaß in der Südstadt. Der TV 1860 Nürnberg bietet in der weiten Region die einzige Möglichkeit zum Wushu-Training. Die nächsten Angebote finden sich erst wieder in München und Stuttgart.
Üben ohne Waffen
Neuankömmlinge bei Wushu üben sich erst mal waffenlos. Nachdem Judith die Basis-Kicks und -Stände gelernt hat, wagt sie sich seit ein paar Wochen an ihre erste Waffenform. »Ist Dir aufgefallen, wie viel sich bei uns warmgemacht wird?«, fragt die zierliche Kämpferin den Journalisten. »Das ist wichtig, denn bei den körperbetonten Sprüngen hat man sich schnell mal was gezerrt …«
Wie würden der Trainer und seine Schülerin Wushu jemandem beschreiben, der noch nie davon gehört hat? »Man lässt den Gegner weg und legt Wert auf Ausdauer, Ästhetik und Ausdruck«, erklärt Judith Zylka, die für den Sport ihre anderen Hobbies Saxofon und Theater hinten angestellt hat. Und Thomas Hacikoglu, der im wirklichen Leben als Stuntman arbeitet und auch bei internationalen Wushu-Wettkämpfen antritt, fügt hinzu: »Es ist ein sehr ästhetischer Sport, bei dem man die meiste Zeit mit sich selbst beschäftigt ist. Ich zeige den Schülern die jeweilige Übung, den Rest müssen sie sich selbst draufschaffen.«
www.tv-jahn.de
Stefan Gnad
Aus:hilpoltsteiner-zeitung.de
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