Die mit dem Stock fechten

Kampfsport ist meist eine ernste Sache. Mit möglichst ansatzlosen Schlägen wird dem Gegner zugesetzt. Es geht aber auch anders: beim Französischen Stockfechten.
Marburg. Sie tänzeln leichtfüßig über den Hallenboden, hüpfen ab und zu, springen, machen Ausfallschritte. Immer im Kreis, wie Panther belauern sie sich. In ihrer Hand lassen sie ganz geschmeidig einen hellen Holzstab kreisen. Wie John Wayne seine Pistole, nachdem er einen Schurken in den Staub geschickt hat. Und ebenso blitzartig wie der Cowboy sein Schießeisen aus dem Halfter zieht, schnellt der Arm eines Kämpfers Richtung Bauch des Gegners. Kerzengerade und gestreckt, mit dem Stab als der natürlichen Verlängerung des Arms. Abgewehrt, zurückgetänzelt, Ausfallschritt, der nächste Angriff. Blitzschnell geht das, wenn die beiden wollen. Nicole Holzmann und Thomas Horstmeyer sind geschickt in ihrer Sportart, dem Französischen Stockfechten. Was etwas niedlich und, na ja, auch ein wenig plump klingt. Der Eleganz der Bewegungen wird es schlichtweg nicht gerecht.

„Es ist eine sehr freie, sehr verspielte Sportart“, erklärt Nicole Holzmann, was für sie die Faszination des „Canne de Combat“, so der französische Name, ausmacht. „Nicht so bierernst. Canne ist sehr individuell, man hüpft, man dreht sich, man kann seinen eigenen Stil entwickeln.“
Mit dem klassischen Fechten hat der Sport übrigens weit weniger gemein, als man dem Namen nach meinen könnte. „Eigentlich fast gar nichts“, sagt Thomas Horstmeyer nach kurzem Überlegen. Einzig der Ausfallschritt ähnelt dem Fechten, er ist beim Canne sogar Pflicht, will man einen gültigen Treffer an den Unterschenkel setzen. Ansonsten bewegen sich die Stockfechter nicht auf einer Planche, sondern in einem Kreis mit neun Metern Durchmesser. „Und wir pieken nicht“, betont Nicole Holzmann. Mit dem 95 Zentimeter langen Stock werden Treffer nämlich nur mit der Seite gesetzt, und auch nur mit dem unteren Viertel. Zu harte Schläge gelten als Technikfehler und zählen nicht. Es ist mehr ein tänzerisches Miteinander als ein kämpferisches Gegeneinander. Oder kurz gesagt: Die wollen doch nur spielen.

Im Wettkampf sind die Trefferflächen Kopf, Bauch und Unterschenkel trotzdem geschützt. Damit im Eifer des Gefechts nichts passiert. Nur sechs Schlagarten sind erlaubt, durch genau vorgeschriebene Bewegungsabläufe sieht sie der Gegner sogar kommen. Deshalb sind schnelle und geschickte Manöver gefragt, um ans Ziel zu gelangen. Ein Kampfrichter überwacht das Geschehen, drei Punktrichter werten die Aktionen. „Aus Sicht des Kämpfers hat man immer das Gefühl, zu wenig Punkte bekommen zu haben“, sagt Horstmeyer, der in Informatik promoviert und sich mit Zahlen also auskennt.

Entstanden ist Canne de Combat ursprünglich Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich zur Selbstverteidigung. „Damals wurde es verboten, Waffen zu tragen“, sagt die 28-jährige Chemie-Doktorandin Holzmann. Schwerter und Degen seien aber eigentlich üblich gewesen. So entwickelte sich die Verteidigung mit dem Spazierstock oder Regenschirm. Sogar an Militärakademien wurde Canne gelehrt, mit dem Bajonett.

Mittlerweile ist daraus ein Wettkampfsport geworden, in dem die Franzosen die Vormachtstellung haben. Doch auch Nicole Holzmann und Thomas Horstmeyer stockfechten auf hohem Niveau: Bei der WM 2008 in Frankenberg, wo auch der deutsche Savate-Canne-Baton-Verband sitzt, gab es mit der Mannschaft die Silbermedaille. Ebenso bei der EM im Vorjahr in Cambridge.

Das Team bestand überwiegend aus Studenten der Uni Marburg. Dort gehört Canne schon lange zum Sportangebot. Neu ist es seit Mai beim BSC Samurai. Jeden Dienstag um 20.30 Uhr trifft sich die Anfängergruppe in der Sporthalle Frankfurter Straße (ehemalige Jägerkaserne). „Ich fand es interessant, Selbstverteidigung mit Hilfsmittel zu machen“, sagt die 18-jährige Lena Brathe, die zuvor schon Taekwondo und Jiu Jitsu gemacht hat. „Es kommt nicht nur auf Kraft, sondern auf Koordination an“, ergänzt Norbert Butzke. „Es macht richtig Laune.“ Der Samurai-Vorsitzende ist in der Gruppe trotz langjähriger Kampfsporterfahrung auch nur ein Lehrling. Nicole Holzmann führt an ihm vor, wie der „Peitschtritt“ funktioniert: Den Angriff des Gegners mit dem Stock abwehren, die Distanz verringern, ein waagerechter Tritt: „Ohne Kraft“, erklärt die Trainerin der Gruppe. „Ich mache den Tritt genauso kontrolliert wie die Schläge. Ihr merkt schon: Er schreit nicht.“

Beim Canne de Combat sind nur Stockschläge erlaubt. Doch beim BSC werden auch andere Spielformen gelehrt, etwa das Canne Chausson, bei dem es auch Fußtechniken gibt. „Es geht aber nie darum, dass eine Bewegung gut ist, weil sie effektiv ist“, sagt Thomas Horstmeyer. „Canne hat eine sehr große ästhetische Wirkung mit seinen fließenden Bewegungen.“

von Holger Schmidt
Aus:Op-marburg.de

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