Forscher räumt mit Mythen der Frauen-Fitness auf

Neue Erkenntnisse aus der Sport- und Ernährungsforschung: Die Muskeln sind zwar gleich, aber Frauen kommen anders zu Kräften als Männer.Ein Heimtrainer, ein paar Müsliriegel, Fitnessdrinks, gut gewachsene Muskelmänner und sportliche Frauen – es war ein schlichter Versuchsaufbau an der Universität von New Zealand. Aber er stellte die wichtigsten Regeln der Sportmedizin auf den Kopf.
David Rowlands vom Institut für Ernährung und menschliche Gesundheit hatte einfach nur wissen wollen, inwieweit sich Muskelpakete und Ausdauerkraft jenseits von körperlichen Strapazen auch durch Sportler-Nahrung und Fitness-Drinks heranzüchten lassen. Dazu setzte er männliche Radfahrer aufs Ergometer, um sie bis zur totalen Erschöpfung strampeln zu lassen.

Sie erhielten danach entweder Riegel mit reichlich Kohlehydraten – oder aber einen Mix aus Kohlehydraten und Eiweiß. Zwei Tage später dann das Ergebnis: Die Protein-Gruppe war um vier Prozent fitter und sportlicher als jene Probanden, die lediglich auf Kohlehydrate gesetzt worden waren. „Für eine einzige Trainingseinheit war dies schon ein beachtlicher Unterschied“, sagt Rowlands.

Zwei Jahre später allerdings wollte er seine Ergebnisse an weiblichen Radfahrern bestätigen. Doch diesmal kam alles ganz anders. Denn die mit dem Eiweiß-Mix versorgten Frauen zeigten nicht etwa bessere Leistungen, sondern fühlten sich sogar müder und schlapper als die Sportlerinnen aus der Müsli-Gruppe. Was Rowlands voller Erstaunen zwei Schlüsse notieren ließ.
Erstens, dass gängige Fitness-Shakes und Sportler-Nahrung auf Eiweißbasis bei Frauen längst nicht die gleiche beflügelnde Wirkung entfalten wie bei Männern. Und zweitens fasste Rowlands seine Studie als weiteren Beleg dafür auf, dass Männer und Frauen viel verschiedener sind, als die Medizin vermutet hat.

Dabei hätten Ernährungsforscher es eigentlich wissen müssen. Dass Frauen es auf dem Teller üblicherweise weniger eiweißreich mögen als Männer, klingt in westlichen Breitengraden eher nach einer Binsenweisheit aus der Fachabteilung Küchenpsychologie als nach moderner sportwissenschaftlicher Erkenntnis.

Nicht umsonst hört man in vegetarischen Restaurants überwiegend weibliche Stimmen, während in Steakhäusern, Imbissbuden und fleischlastigen Fast-Food-Restaurants der maskuline Bariton dominiert.

Auch statistische Erhebungen bestätigen den „tierischen“ Hunger der Männer: In der Altersgruppe von 25 bis 34 Jahren essen sie mit 113 Gramm pro Tag und Magen fast doppelt so viel Fleisch und mit 64 Gramm sogar mehr als doppelt so viel Wurst wie eine Frau.
Ihre ausgeprägte Fleischeslust zeigt sich, wie die deutsche Soziologin Monika Setzwein betont, auch an den Zahlen zur Verzehrshäufigkeit: „Jeder zweite Mann zwischen 18 und 24 Jahren hat täglich ein Stück Fleisch auf dem Teller.“ Bei den Frauen in dieser Altersgruppe sei es nicht einmal jede Fünfte.

Der Fleischhunger des Mannes speist sich einerseits aus dem sozialen Umfeld: Fleisch gilt traditionell als Symbol von Kraft und ist folglich auch dem „starken“ Geschlecht vorbehalten. Andererseits hat er auch physiologische Ursachen, und spätestens hier wird es dann auch sportmedizinisch relevant. So besitzen Männer deutlich mehr Muskelmasse, die mit Proteinen gefüttert werden will: Für den Aufbau von einem Kilo Muskeln braucht man 200 Gramm Eiweiß.

Wenn man nun bedenkt, dass ein 25-jähriger Mann nicht nur größer ist als eine Frau gleichen Alters, sondern auch zu etwa 45 Prozent aus Muskeln besteht, während sie zu 20 bis 30 Prozent aus Fett und nur unwesentlich mehr aus Muskeln zusammengesetzt ist, ergeben sich daraus völlig unterschiedliche Anforderungen an die Ernährung. Und dies gilt umso mehr, wenn die Muskeln durch Sport strapaziert werden und zu wachsen beginnen.
Stoffwechselexperte Mark Tarnopolsky von der McMaster University im kanadischen Hamilton hat ausgerechnet, dass ein männlicher 80 Kilo-Sportler täglich bis zu 136 Gramm Eiweiß braucht, während eine 50 Kilo-Läuferin gut und gerne mit der Hälfte zurecht kommt. Die meisten Sportlerinnen sollten also bei der fleischbetonten Kost unserer Tage auch ohne Proteinsupplemente auskommen.

Hauptverantwortlich für den höheren Fett- und niedrigeren Muskelanteil der Frauen ist das Östrogen, das weit mehr ist als nur ein Sexualhormon, sondern auch wichtige Rollen im Stoffwechsel und der Gewebezusammensetzung spielt.

Man sollte es jedoch, wie Tarnopolsky betont, nicht einseitig als „Verweiblicher“ betrachten, der den Frauen lästigen Speck auf ihre Hüften und Oberschenkel bringt. Es stimuliert umgekehrt auch den Abbau der Fettdepots zu Glyzerin und freien Fettsäuren, und dieser Effekt kommt vor allem im Sport zum Tragen.
„Gleich mehrere Studien konnten zeigen“, sagt Tarnopolsky, „dass Frauen während Ausdauerbelastungen mehr Fette und weniger Kohlehydrate und Eiweiße verbrennen als Männer.“ Was konkret bedeutet, dass gerade weibliche Diätkandidaten beim Abspecken überflüssiger Kilos auf Sport setzen und nicht nur ihre Ernährung umstellen sollten.

Bei Männern hingegen zeigen Jogging, Radfahren und dergleichen weniger Wirkung auf die Fettdepots, ihr Königsweg zum Idealgewicht bleibt der Verzicht auf Bier, Torte, Fleisch und andere Kalorienbomben.

Das natürliche Fatburner-Talent der Frauen erklärt aber auch, warum Marathonläuferinnen und andere Athletinnen aus dem Ausdauerbereich oft extrem abgemagert aussehen. In einer Studie der Universität Stanford in Kalifornien hatten elf von 17 Marathonläuferinnen einen Körperfettgehalt von gerade mal zehn Prozent. Dabei hätten sie getrost Fleisch- und Schokoladensauce über ihre obligatorischen Nudel- und Bananenberge gießen können, weil ihr Körper ja keine Probleme mit der Fettverbrennung hat.
Für diese ausgemergelten Frauen ist es umso wichtiger, sich während der sportlichen Aktivität mit Glukosedrinks zu versorgen, um die Energiedepots in ihren Muskeln kurzfristig aufzufüllen. Und sie können sich dabei durchaus auf ihre physiologischen Voraussetzungen verlassen. „Während des Sports verbrennen Frauen glukosehaltige Drinks besser als Männer“, sagt Tarnopolsky.

Dafür reagiert der weibliche Körper deutlich weniger auf Kreatin. Dieser Stoff zählt zu den beliebtesten Nahrungssupplementen im Sport, weil er in den Muskeln die chemische Grundlage des Energiestoffwechsels bildet, gut verträglich ist und nicht auf der Dopingliste steht.

Für Hobbysportler bringt er wenig, doch im Hochleistungsbereich gilt seine positive Wirkung auf Kraft und Ausdauer als gesichert. Doch bei Frauen ist dieser Effekt weitaus schwächer ausgeprägt, ihre Muskeln legen unter Kreatinsupplementation nur etwa ein Drittel von dem zu, was Männer erreichen.

Nur bei Vitaminen und Mineralien funktionieren männliche und weibliche Sportler weitgehend ähnlich. Beim Zink haben Männer allerdings einen höheren Bedarf, weil sie größere Mengen ausschwitzen. Weibliche Sportler hingegen brauchen mehr Eisen, weil sie über die Monatsregel viel verlieren. Bei Spitzenathletinnen findet der Körper allerdings auch oft einen eigenen Weg, um sein Eisenreservoir zu bewahren: Er verlängert die Abschnitte zwischen den Blutungen oder schafft sie sogar ganz ab.
In einer Studie der Stanford University ließ man 14 Frauen mit ursprünglich normaler Menstruation über 15 Monate hinweg ein Marathon-Training durchführen. „13 von ihnen hatten danach erhebliche Menstruationsverzögerungen“, erklärt Studienleiter Robert Marcus. In einer anderen Untersuchung fand er bei fortgeschrittenen Marathonläuferinnen in zwei Dritteln aller Fälle überhaupt keine Monatsregel mehr.

Sofern Sportlerinnen jedoch ihre Monatsregel haben, sollten sie beim Essen und der Einnahme von Supplementen berücksichtigen, dass der Menstruationszyklus erhebliche Auswirkungen auf ihren Stoffwechsel hat. So werden Kohlehydrate besser vor dem Eisprung und Proteine besser nach dem Eisprung verarbeitet.

Langläuferinnen können also beispielsweise die erste Hälfte ihrer Menstruation für ihre Nudel- und Bananendiäten nutzen, um die Energiespeicher in ihren Muskeln zu füllen, und die Zeit danach eher proteinreich gestalten, um die Regeneration und den Aufbau der Muskeln zu unterstützen.
In jedem Falle aber gilt: Was männliche Sportler stark und schnell macht, hilft Athletinnen nur wenig und umgekehrt. „Die Stoffwechselunterschiede zwischen den Geschlechtern werden in der Sportmedizin zu wenig berücksichtigt“, klagt Tarnopolsky.

Die meisten Erkenntnisse zur Sportlerernährung seien an Männern erprobt und dann einfach auf Frauen umgerechnet worden, bemerkt der neuseeländische Sportmediziner Rowlands: „Doch was den tatsächlichen Ernährungsbedarf von Sportlerinnen anginge, besteht noch ein großer Nachholbedarf.“

Doch lässt sich dieser Mangel künftig beheben? Das wird Sache der Frauen sein. Forscher beklagen schon länger, dass sie sich bei Sportmedizinischen Studien vor männlichen Probanden kaum retten können – von Frauen dagegen keine Spur.
von Jörg Zittlau
Aus:Welt.de

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