Judo mit Putin: Fight Club à la russe

Nicht jeder, der sich mit Putin anlegt, handelt sich Probleme ein. So mancher, der mit ihm auf der Judomatte gekämpft hat, kontrolliert heute große Geschäfte. Unter Russlands Elite steht Kampfkunst hoch im Kurs. Als sich der russische Gasgigant Gazprom im Mai 2008 von seinen fünf Tochterfirmen für den Bau von Pipelines trennte, wussten nur wenige über die Hintergründe Bescheid. Gewiss hatte manchen stutzig gemacht, dass sich wie schon oft wieder nur ein einziger Anwärter um die offensichtlichen Leckerbissen anstellte. Dass diese daher fast um den Startpreis von 8,3 Mrd. Rubel (230 Mio. Euro) über den Ladentisch gingen, verwunderte dann genauso wenig wie die Tatsache, dass sie in einer zypriotischen Offshore-Struktur landeten. Später trat zu Tage, dass die 11.000 Mitarbeiter, die im Jahr 2008 um die 1,9 Mrd. Dollar umsetzten, von dort aus im russischen Unternehmen Strojgazmontasch zusammengefasst wurden. Und vor zwei Monaten war die Katze aus dem Sack: Der Laden gehört Arkadi Rotenberg.

Öffentlich groß in Erscheinung trat der 58-Jährige aus St.Petersburg nie. Nicht dass seine weit verzweigten Geschäfte und die seines jüngeren Bruders Boris vor dem Einkauf bei Gazprom weniger bedeutsam gewesen wären oder er selbst weniger mächtig. Mitnichten, sie waren nur um einiges unscheinbarer. Das Imperium der Rotenbergs war „eine Ansammlung von Finanzgebilden und Vermittlertätigkeiten“, schreibt das russische Forbes-Magazin. Der Eliteforscher Wladimir Pribylowski bringt die Geschäftstätigkeit anders auf den Punkt und spricht vom „Handel mit den nötigen Verbindungen“. Diese sind in der russischen Wirtschaft und Politik das Um und Auf. Der unmittelbare Zugang zum mächtigsten Mann im Staat ist daher unbezahlbar. Forbes hält fest: „Der wirkliche Höhenflug der Rotenbergs fand statt, nachdem ihr Freund aus Kindertagen seine Moskauer Karriere gestartet hatte.“

Raufereien im Hinterhof. Wladimir Putin, der Freund aus Kindertagen, zog Ende der 90er-Jahre nach Moskau. Nach einem kurzen Intermezzo an der Spitze des Geheimdienstes wurde er im Jahr 2000 Staatspräsident. Seither wurde der Anteil des Staates an der Wirtschaft ausgeweitet. Alte Oligarchen wurden vom Thron gestoßen, neue und weniger bekannte Tycoons stiegen auf. Putin selbst hält nun als Premier die Zügel in der Hand.

Vor 45 Jahren hatte er noch von Stärke geträumt. „Die Schwachen werden geschlagen“, sollte er später in Erinnerung an diese Zeit sagen. In einem ärmlichen Hinterhof St.Petersburgs 1952 geboren, galt es, sich gegen die Buben im Hof zu verteidigen. Putin war nicht der stärkste. Die Technik des Judo sollte wettmachen, was ihm die Natur versagte. Putin klopfte im Sportklub an, in dem die Rotenbergs bereits trainierten. Die Halbwüchsigen wurden Freunde.

Als Putin nach dem Zerfall der Sowjetunion in seine Heimatstadt zurückkehrt, ist Kampfsport mehr gefragt denn je. Weil staatliche Institutionen in der Übergangsphase schwach sind und keinen Schutz bieten, bauen Bürger notgedrungen auf die eigene Kraft. Aus so manchem Sportklub entsteht in den 90er-Jahren eine Mafiagruppierung.

Präsident im Judoklub. Von den Rotenbergs heißt es, dass sie sich von der Unterwelt ferngehalten haben. Das Geschäft des Kampfsportunterrichts freilich blühte. Boris Rotenberg unterrichtete Judo in Finnland, Arkadi in St.Petersburg. Unter anderem verdiente er mit Wachfirmen gutes Geld. Mit Putin hatte er den alten Freund wieder zum Sparringpartner. 1998 begann der Ölhändler Gennadi Timtschenko, den neuen Judoklub Javara-Neva zu sponsern. Arkadi Rotenberg wurde Direktor, der Geheimdienstchef Putin Klubpräsident. Nachdem Putin zwei Jahre später alle staatlichen Aktiva der Alkoholbranche in der Staatsholding RosSpirtProm gebündelt hatte, übernahm dort ein Geschäftspartner von Arkadi das Ruder. Wie die Wirtschaftszeitung Wedomosti eruierte, sitzen Rotenbergs Leute in den meisten dieser Firmen im Aufsichtsrat.

Zum Alkoholgeschäft kommen die Finanzen. Die von den Brüdern gegründete Bank Severnyj Morskoj Put („Nordmeerstraße“) nimmt heute Platz 90 unter Russlands über 1000 Geldinstituten ein. Damit nicht genug. Mittlerfirmen, an denen die Rotenbergs beteiligt waren, verkauften Rohre an Gazprom. 2008 übernahmen die Rotenbergs zehn Prozent Anteil am riesigen Schwarzmeerhafen Noworossijsk. Auch sind sie Partner des russischen Baukonzerns MCM-5, der im Vorjahr den Zuschlag für knapp eine Million Quadratmeter Wohnraum für das Verteidigungsministerium erhielt.

Das Über- und das gute Leben. Selbst die bescheidenste Zählung für den Umsatz des Rotenberg-Imperiums ergebe drei Mrd. Dollar, meint Forbes. Die Bekanntschaft mit Putin hat ihren eigenen Wert: „In vielen Fällen erlaubt diese Unterstützung, sich ruhig und sicher seinem Geschäft zu widmen“, meinte Arkadi Rotenberg einmal. Putin selbst sagte, dass er mit Sparringpartnern von früher befreundet bleibe. Gelegentlich treffe man sich zu Hause auf ein Kräftemessen.

Muskelkraft und Schnelligkeit war nicht nur in den 90er-Jahren eine Frage des Über- und guten Lebens. Ein Rundumblick in Russlands politischen und wirtschaftlichen Schaltstellen zeigt, dass Budo noch immer hoch im Kurs steht. Als Beweis dienen nicht nur die harten Sprüche von Premier Putin; er hat den Schwarzen Gürtel in Judo. Juri Trutnev, der 53-jährige Minister für Bodenschätze, hat ebendiesen in Karate. Ramsan Kadyrow wiederum, der 33-jährige Präsident Tschetscheniens, misst sich gern im Boxklub. Sein Vorgänger hielt sich mit Karate fit.

Kickboxer Prochorow. Auch im Großbusiness finden sich neben einer Reihe wohlgenährter Sirs sehr schlagkräftige Typen. Der 47-jährige Sergej Kirienko, Expremier und nun Chef des Atommonopolisten Rosatom, ist Träger des dritten Dan in Aikido. Und der seit dem Vorjahr reichste Russe, der 44-jährige Partylöwe Michail Prochorow, betreibt seit 20 Jahren Kickboxen und Karate. Im Vorjahr drohte er, zwei Herren eigenhändig „die Fresse einzuschlagen“, sollten sie sich nicht binnen dreier Wochen für eine Beleidigung seiner Schwester entschuldigen. Sie baten um Verzeihung.

Im Unterschied zu den Rotenbergs sind die zuletzt Genannten nicht Putins Generation. Anders als Timtschenko, der milliardenschwere Ölhändler und Mitgründer von Putins Petersburger Judoklubs, dessen Ehrenpräsident der Premier bis heute ist. Als Putin im Petersburger Bürgermeisteramt für Außenwirtschaft zuständig war, hatte er mit diesem Geschäftsmann zu tun. Der Mann, von dem es nur ein einziges Foto gibt, tritt aber hartnäckigen Vermutungen entgegen, er habe mit Putin beim KGB gedient und von Putins politischer Karriere profitiert.

Dass sein Name überhaupt bekannt geworden ist, verdankt sich der russischen Präsidentenwahl 2004. Damals wurde er des Vorwurfs bezichtigt, Putins Geschäftsinteressen wahrnehmen. Das britische Magazin „Economist“, das in einem Artikel über Korruption den Aufstieg von Timtschenkos Schweizer Firma Gunvor zum weltweit drittgrößten Öltrader seinen frühen Verbindungen zu Putin zuschrieb, wurde im Vorjahr verklagt. Später einigte man sich gütlich, weil Timtschenko nicht bereit war, für den Prozess Informationen über seine Geschäfte und seine Partner offenzulegen, erzählte einer seiner Vertrauten gegenüber „Wedomosti“.

Ja, er kenne Putin vom Judoklub, sagte Timtschenko im Jahr 2008: „Wenn ich zum Training kam und er dort war, gaben wir einander die Hand. Jetzt aber hätte ich gar keine Zeit, mich mit ihm zu treffen. Und er wahrscheinlich auch nicht.“ Timtschenkos Zeit wird immer knapper. Das Geschäft von Gunvor, das er mit dem Schweden Torbjorn Tornqvist und einer dritten, hartnäckig geheim gehaltenen Person führt, wächst rasant. 2007 wurden mit 83 Mio. Tonnen Öl und Ölprodukten 43 Mrd. Dollar umgesetzt, 2009 mit 114 Mio. Tonnen 53 Mrd. Dollar. Schätzungen zufolge exportiert Gunvor 15 Prozent des russischen Öls und 40 Prozent der Ölprodukte.

Timtschenko, der 2008 mit 2,5 Mrd. Dollar Platz 43 im russischen Forbes-Journal einnahm, ging im Vorjahr auch in den Gassektor und hält nun schon knapp ein Fünftel am zweitgrößten russischen Gaskonzern Novatek. Auch begann er den Handel mit Strom und Kohle. Zudem hilft er nun am Bau der Ölpipeline aus Sibirien nach Japan mit und baut den Ölhafen Ust-Luga an der Ostsee. Von dort sollte in den nächsten Jahren der Export russischen Öls in Tankern durch die Ostsee beginnen. Nicht weit davon entfernt soll dann auch Gas in die neue Nord-Stream-Pipeline nach Deutschland gepumpt werden. Für den Pipelinebau, so viel steht schon fest, wird eine ganz bestimmte Firma hinzugezogen: Es ist die Strojgazmontasch der Judo-Brüder Rotenberg.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 07.02.2010)

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