Kampfwaffe: Lebensfreude

Eine 15-Jährige schreibt ein Blog über ihre Krebserkrankung und rührt ganz Großbritannien

Alice Pyne hat einen Wunschzettel mit Dingen geschrieben, die sie noch erleben will
Geschlecht: weiblich. Sternzeichen: Schütze. Wohnort: Ulverston, Großbritannien. Seit dem 6. Juni 2011, 10.46 Uhr Ortszeit haben 243 143 Menschen Alice Pynes Steckbrief gelesen.

Hobbys: Malen, Puzzeln, „Desperate Housewives“, Lasagne und Take That. Lieblingsbuch: „Marley & Me“. Weil Marley sie an Mable erinnert, ihren eigenen unerzogenen Labrador.


Der Steckbrief eines Teenagers, mehr noch ein Kind als eine Halbwüchsige. Ein Kind jedoch mit unbezwingbarem Arbeitsalltag. Unter Beruf steht geschrieben: gegen den Krebs ankämpfen, Vollzeit. Ihre Kampfwaffe heißt Lebensfreude. Seit dem Morgen des 6. Juni dokumentiert sie auf alicepyne.blogspot.com ihren Kampf gegen den Lymphdrüsenkrebs. Erster Eintrag: Hello 🙂

Alice Pyne war elf, als sie 2007 an Morbus Hodgkin erkrankte, nach Leukämie und Hirntumoren der dritthäufigste Krebs bei Kindern. Bis zum vollendeten 14. Lebensjahr erkranken in Deutschland laut Kinderkrebsregister pro Jahr etwa 90 Jugendliche an einem Hodgkin-Lymphom. Meistens fängt es mit Nachtschweiß an, mit Fieber, Erschöpfung und Gewichtsverlust. Und immer mit schmerzlos geschwollenen Lymphknoten. Alice Pynes Diagnose war eindeutig, sie bekam eine Chemotherapie und eine Stammzellentransplantation aus ihrem eigenen Blut, das ihr entnommen und in behandelter Form wieder zugeführt wurde. Es half nicht lang. Der Rückfall kam.

Alice Pyne hat eine Wunschliste(The Bucket List)geschrieben. Eine Liste der Dinge, die sie noch erleben will, bevor sie gehen muss. Auf Platz acht steht: einmal im Wohnwagen schlafen. Auf Platz fünf: eine Kinovorstellung nur für sie und ihre besten Freundinnen. Auf Platz drei steht eine Reise nach Kenia. Obwohl sie weiß, dass sie nicht mal das Land verlassen kann. Punkt 13 hat sie sich schon erfüllt: ein schönes Foto mit Mable. Sie hat es gleich online gestellt.

Alice war ein Kind, als die Krankheit in ihr Leben kam. Und der undenkbare Gedanke, die ganze Idee des Lebensendes plötzlich Lichtjahre überwand. Und da war, einfach so. Seit vier Jahren lebt sie mit der Idee. Mit großen Pausen voll Hoffnung und Träumen. Aber jetzt, schreibt Alice Pyne auf der Startseite ihres Blogs, spüre sie, dass der Krebs sie einhole. „Und ich glaube nicht, dass ich gewinne.“ Ein Smiley dahinter, mit hängenden Mundwinkeln 🙁

Der Krebs, der Alice endgültig einzuholen droht, benannt nach dem englischen Arzt Sir Thomas Hodgkin, entsteht durch eine bösartige Veränderung der B-Lymphozyten, einer Gruppe weißer Blutkörperchen, die sich vor allem in den lymphatischen Geweben aufhalten. Das Hodgkin-Lymphom weist ein bestimmtes charakteristisches Zellbild auf und unterscheidet sich so von sogenannten Non-Hodgkin-Lymphomen, die weitaus aggressiver und schwerer zu behandeln sind. Gerade für Kinder bestehen beim Hodgkin-Lymphom eigentlich gute Heilungschancen. Alice‘ Krankheitsverlauf ist ungewöhnlich schlecht. Obwohl sich im letzten Jahr ein geeigneter Spender fand, ein Mann Anfang 20, aus dessen Knochenmark die Blut bildenden Stammzellen gewonnen werden sollten, wurde die Transplantation wieder abgesagt. Die Ärzte sagten, Alice‘ Werte seien zu schlecht. Die Chemotherapie hatte nicht gut genug angeschlagen. Sie hatte zu viele schadhafte Blutzellen im Körper.

Alice Pyne hat die letzte Nacht kaum geschlafen. Um 1.37 Uhr ist sie einfach wieder online gegangen, um sich für die Dutzenden E-Mails zu bedanken, die in den letzten Tagen bei ihr eingegangen sind. Vor allem aber für die Spenden, die sie für die Krebsforschung zusammenbekommen hat. „Oh wow! Oh wow! Oh wow!“, schrieb sie. „Es ist mitten in der Nacht, und wir haben gerade die 10 000-Pfund-Marke geknackt.“ Wir, das sind Alice und ihre kleine Schwester Milly, die am Wochenende am Race for Life teilnehmen wird, einem Fünfkilometerlauf, bei dem Spendengelder für die Krebsforschung gesammelt werden. Und wir, das sind Alice‘ Vater Simon und ihre Mutter Vicky, die sie ermutigte, über die wertvolle Zeit, die ihr bleibt, Tagebuch zu führen. Und den Lesern zu sagen: Du hast nur ein Leben. Lebe es.

Ihre Leser bedanken sich, indem sie ihr helfen, die Wunschliste abzuarbeiten. Punkt zwölf zum Beispiel könnte bald Wirklichkeit werden: ein Besuch in der Cadbury World in Birmingham, einer Art Schokoladen-Freizeitpark der Süßwarenfirma. Die Einladung von Cadbury erfolgte prompt in der Kommentarspalte. Nach wenigen Stunden hatten schon weit über tausend Leser eine Nachricht hinterlassen, mit den liebe- und hochachtungsvollsten Wünschen für Alice und ihre Familie. Obwohl ihr Blog eigentlich für Freunde und Verwandte bestimmt war. Nun wird in jeder britischen Zeitung über sie berichtet.

Eine Karte für ein Take-That-Konzert, Punkt elf auf der Liste, hat sie auch schon. Ob sie wirklich gehen wird? Sie fühlt sich schwach und krank im Moment, die Menschenmassen könnten sie überfordern, schreibt sie. Auf Platz eins ihrer Liste steht Alice Pynes größter EnlaceWunsch – dass sich alle als Knochenmarkspender registrieren lassen.

Am Freitag haben sich die Spendengelder noch einmal verdoppelt. Bis zum Abend hatte Alice Pyne 20 000 Pfund gesammelt.

Alice fragt in ihrem Blog : „Wenn heute der letzte Tag in Deinem Leben wäre, wie würdest du in verbringen? Denke darüber nach. „

Aus:Welt.de

Weitere Informationen :
The Guardian
Alice’s Bucket List

Share

Hinterlass eine Antwort