Körper und Geist trainieren

Obertshausen ‐ Thomas Flohrer steht vor den Karatekämpfern und ruft: „Mokosou!“ Die Männer und Frauen folgen der japanischen Anweisung des „Sensai“, fallen vor dem Meister auf die Knie und schließen für etwa 30 Sekunden die Augen. Sie sollen die Alltags-Sorgen ablegen. Von Stephan Degenhardt
Die Meditationsphase ist fester Bestandteil eines jeden Karatetrainings. So auch des speziellen Trainings, das der 1. Karate-Dojo Obertshausen seit Anfang Februar anbietet. Jeden Dienstagabend von halb Sieben bis halb Acht können Kampfsport-Interessierte zu den Übungseinheiten der „Jukuren“ kommen. Das ist japanisch, heißt übersetzt „der Erfahrene“ – die Teilnehmer müssen mindestens 35 Jahre alt sein.
Sechs bis acht Jukuren im Alter von 38 bis 60 Jahren machen regelmäßig bei den Karateübungen in der Sporthalle der Friedrich-Fröbel-Schule mit. Für die Älteren haben die Trainer Thomas Flohrer und Horst Wittig das Übungspensum reduziert, die Bewegungsabläufe entschleunigt. „Die Gesundheit der Sportler und der Spaß stehen im Vordergrund“, sagt Wittig, 51, der das Training abwechselnd mit Flohrer leitet.
Eine „Kata“, einen einstudierten Schattenkampf, lernen die Jukuren zum Beispiel nicht wie üblich in einem, sondern in drei Monaten. Aber: „Wir trainieren nicht nur mit Wattebäuschchen“, sagt Wittig. Die Teilnehmer müssten auch ab und zu über ihre Leistungsgrenzen gehen.
Koordination, Kraft und Konzentration
Seit Anfang des Jahrtausends forciert der Deutsche Karate Verband den Ausbau des Jukurentrainings. „Angesichts der alternden Gesellschaft mussten wir ein neues Angebot schaffen“, sagt Axel Markner, der im Verband die Jukurentrainer ausbildet. Das Besondere an dem Angebot: Jeder Teilnehmer kann entscheiden, mit welcher Intensität er trainieren will.
Die Trainer sprechen die Jukuren individuell an, können die Übungen an Alter und Fitness anpassen. Vorerfahrungen in Karate sind deshalb nicht nötig. Wer sie hat, kann mit dem Jukurentraining wieder in den Sport einsteigen.
Für die Gesundheit der älteren Sportler ist Karate in mehrerer Hinsicht gut. „Das Training ist so aufgebaut, dass Koordination, Kraft und Konzentration gleichermaßen gefördert werden“, erklärt Wittig, der ausgebildeter Gesundheits- und Personaltrainer ist. Mit Dehnübungen auf einem Bein sollen die Jukuren zum Beispiel ihren Gleichgewichtssinn fördern – wichtig, um Stürze zu vermeiden.
Gestärktes Selbstvertrauen
Für Karate typische Tritte und Schläge, aber auch konventionelle Liegestütze, verbessern Dynamik und Kraft. Die Jukuren stärken so ihre Rumpf- und Rückenmuskulatur, entlasten die Wirbelsäule. „Damit wollen wir Wohlstandskrankheiten wie Rückenschmerzen vorbeugen“, sagt Wittig.
Wie in jeder Kampfsportart ist auch beim Karate das mentale Training wichtig. Weil sie immer neue Übungen und Bewegungsabläufe lernten, trainierten die Jukuren ihre Konzentrationsfähigkeit, so Wittig. Hinzu kommte dass sie ihr Selbstvetrauen stärkten. Der Gedanke, sich selbst verteidigen zu können, führt im Alltag zu einer selbstbewussten Körpersprache. „Wenn ich mich nicht als Opfer fühle“, sagt Jukure Gerold Klausgraber, „bin ich für Täter uninteressant.“
Aus:op-online.de

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