Mein Boss meditiert

Einst verlieh die Zen-Meditation japanischen Samurai Kraft und Klarheit. Mittlerweile schöpfen auch immer mehr Führungskräfte Stärke aus der Stille Der Wecker klingelt. Eigentlich könnte Corinna Steinauer noch liegen bleiben, aber sie gibt sich einen Ruck, schlägt die Decke zurück und setzt sich auf eine Matte, die ausgerollt auf dem Boden liegt. Sie atmet ein und aus, ist ganz auf sich und ihren Atem konzentriert. Die 47-Jährige hat viele Jahre als Personalchefin eines großen Unternehmens gearbeitet. Für die nächste Dreiviertelstunde ist sie aber in ihrer Zen-Meditation versunken. Damit ist sie keine Ausnahme. Immer mehr Führungskräfte suchen in der Stille eine Kraftquelle für den Alltag. Seit der Wirtschaftkrise erlebt der Zen-Meister und frühere Unternehmensberater Hinnerk Polenski einen regelrechten Boom. „Ich leite pro Jahr 20 Zen-Seminare für Top-Manager und die sind regelmäßig ausgebucht“, sagt er. Auch immer mehr deutsche Unternehmen bieten Mitarbeitern Zen-Kurse an oder richten Entspannungsräume ein. Stress, Überbelastung und Burn-out kosten die deutsche Wirtschaft jedes Jahr rund 260 Milliarden Euro. „Die Zahl der körperlichen und psychosomatischen Erkrankungen bei Managern in Führungsetagen nimmt deutlich zu“, sagt Polenski. Die Meditation biete Orientierung und helfe gerade im Alltag, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ihm ist es wichtig zu betonen, dass Zen nicht irgendeine Übung ist, die im allgemeinen Esoteriktrend nun auch für Führungskräfte umgesetzt wird, sondern dass es sich hierbei „um eine 2500 Jahre alte Trainingsform handelt, die seit jeher im Kontext von Führung und Elite steht. Schon die japanischen Samurai haben durch die Meditation Klarheit und Stärke gewonnen.“ Die vom Buddhismus geprägte Zen-Meditation entstand vor mehr als 2500 Jahren in Indien. Im 6. Jahrhundert gelangte sie nach China und schwappte erst später nach Japan. Ab dem 12. Jahrhundert beeinflusste sie die japanische Kultur und Philosophie stark. Erst Hunderte Jahre später begann sich der Westen für Zen zu interessieren, dabei ist die Sitzmeditation (Zazen) hierzulande die beliebteste Form des Zen. Dabei sitzt der Meditierende aufrecht auf einem Holzbänkchen oder einem Kissen und konzentriert sich vollkommen auf sein Inneres. Steinauer erfuhr über einen Freund von Zen. Die Idee, sich ganz auf sich zu besinnen, gefiel ihr. „Ich mochte mein Berufsleben immer sehr, aber der Alltag war dadurch sehr fremdbestimmt“, sagt sie. Im Winter vor zwei Jahren besuchte sie deshalb ein Seminar für Führungskräfte, das Zen-Meister Polenski leitete. Das Wochenende in voller Ruhe und die Zen-Meditation in der Gruppe und alleine lehrten sie, abzuschalten und loszulassen. Während sie auf dem Holzbänkchen saß, den Atem fließen ließ, beschreibt sie „war ich ganz bei mir selbst“. Am Sonntagnachmittag, als das Seminar beendet war, fuhr sie wieder zurück nach Hause in Richtung Hamburg. Schon am nächsten Tag begann sie mit der Meditation am Morgen und zog das konsequent eineinhalb Jahre lang durch – jeden Tag. „Nach dem Aufwachen stand ich vom Bett auf und setzte mich sofort auf die Matte. Der Wecker klingelte also eine halbe oder dreiviertel Stunde früher als sonst. Eigentlich bin ich nicht so der Morgenmensch, kann spät abends gut arbeiten, aber ich gewöhnte mich daran. Schließlich freute ich mich sogar am frühen Morgen darauf, meine Meditation zu machen.“ Inzwischen praktiziert Steinauer Zen nicht mehr so streng wie zu Anfang, zwar noch ein paar Mal pro Woche, aber immer nur dann, wenn ihr der Sinn danach steht. Anzeige“Ich hatte meinen Mitarbeitern nicht erzählt, dass ich jeden Morgen meditiere. Aber sie merkten es trotzdem. Kollegen sprachen mich an und sagten, ich sei in letzter Zeit insgesamt lockerer und entspannter. Das gefiel mir. In einer Arbeitswelt, wo Hektik, Termindruck und Stress alltäglich sind, tun Entspannung und Offenheit gut.“ „Zen-Kurse in Firmen anzubieten, halte ich für eine gute Idee, ganz unbedingt“, sagt Steinauer begeistert. Doch man könne sie nicht einfach so anbieten, wie etwa Rückenfitness oder andere Gesundheitskurse. Man müsse sie schon in den Kontext von Stress und Überbelastung stellen. Dann könne durchaus eine Win-win-Situation entstehen, sagt Steinauer, „denn das Unternehmen fördert damit die Eigenverantwortung der Mitarbeiter. Diese lernen durch Zen besser auf sich achtzugeben und das Unternehmen kann Verantwortung abgeben.“ Ohne angeberisch zu klingen, beschreibt Steinauer, was die Meditation aus ihr gemacht habe: „Ich bin eine kompetente Geschäftsfrau, die ausgeglichen und locker ist. Das ist doch eine angenehme Kombination.“ In Deutschland gibt es etwa zwölf Zen-Schulen, die Meditation nicht nur für Führungskräfte anbieten, sondern auch traditionelles Zen für Schüler und Fortgeschrittene oder spezielles Zen für Frauen im Programm haben. Zu den Wochenend-Seminaren von Zen-Meister Polenski kommen seinen Angaben nach hauptsächlich Entscheidungsträger aus der Wirtschaft, manchmal Ärzte und in den letzten Jahren immer häufiger Journalisten. Die meisten Teilnehmer hätten einen echten Leidensdruck. „Manche arbeiten und arbeiten und arbeiten, kommen niemals zur Ruhe und leiden dann unter Schlaflosigkeit.“ Es gäbe dann nicht die eine Übung, die jedem helfe. Man müsse zunächst herausfinden, wo das Problem liege. Manche müssten lernen, mit ihrer Energie zu haushalten. „Jemand der morgens zu viel Power hat und am Abend völlig erschlagen ist, bekommt eine Atemübung, die ihm hilft, Energie zu speichern, wenn er zuviel davon hat, und sie wieder hervorzuholen, wenn er müde ist.“ Steinauer empfand ihre Arbeit zwar „nie als Stress pur, aber ich habe durch Zen an Leichtigkeit und innerer Ruhe gewonnen“. Es war wohl die Zen-Meditation, die sie bei ihrer Entscheidung beeinflusst hat, sich eine Auszeit zu nehmen. Seit September arbeitet sie als selbstständige Beraterin. Ob sie jemals in ihr Unternehmen zurück kehren wird? Der Pressesprecher reagiert jedenfalls auf eine Anfrage recht zugeknöpft: „Sie arbeitet schon lange nicht mehr bei uns.“

Aus:Welt.de
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2 Kommentare zu Mein Boss meditiert

  • Frank  sagt:

    Ich kenne solche Situationen in manchen Unternehmen läuft es eben so ab, dass der Chef mal aussteigen muss, ist halt nicht ganz einfach der Job

  • Entrenando Aikido  sagt:

    Danke Frank,ja fuer meiner Chefin waere das auch Super

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