Schwimmen mit Rüstung

Mit 20-Kilo-Rüstung im Becken

Ein Kraftakt, der spielend leicht aussehen muss: In Japan kämpfen sich seit Jahrhunderten in Metall gehüllte Samurai durchs Becken. Sie nennen es Schwimmen.

Für Toshihiko Satake ist es der stolzeste Tag seines Lebens. Um den schmächtigen 21 Jahre alten Medizinstudenten tüfteln fünf ausgewachsene Männer. „Heb mal deinen Arm, sonst kann ich dir den Schutz nicht festbinden“, knurrt sein Meister Tadao Koga, als er um seinen Sportler herumschleicht. Alles muss genau sitzen. In ein paar Minuten wird Satake ins 50-Meter-Becken hinter ihm steigen, in dieser alten Rüstung eines Samurai, die schon so viele seiner Vorgänger getragen haben. Auf Brusthöhe des metallenen Anzugs prangt das Symbol des einst mächtigen Hosokawa-Clans, den Erfindern des Stils von Satake und seinem Meister.

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Diese Krieger des Mittelalters will Toshihiko Satake nun nachahmen. „Auf geht es, Junge! Denk dran, was ich dir gesagt hab!“, zischt ihm sein Sensei, sein Meister, zu. Satake nickt mit ernstem Blick. Als er gen Becken schreitet, hallt Beifall von den Rängen. Es ist der Höhepunkt dieses zweitägigen Events, zu dem rund 1000 Begeisterte aus ganz Japan gekommen sind. Erst wenn ein Nachwuchsschwimmer wie Satake in der 20 Kilo schweren Rüstung durchs Wasser gleitet, heißt es, ist ihre jahrhundertealte Tradition wirklich konserviert.

Schon lange ist dieser Sport ein unterschätzter Koloss. Neben Japans weltweit praktizierten Urdisziplinen wie Judo, Jiu Jitsu, Karate oder auch Sumo sind die altertümlichen Schwimmstile in Vergessenheit geraten. Dass auch sie Vorboten für diverse Erfolge im Sport sind, weiß selbst in Japan kaum jemand. Beim jährlichen Wettkampf in Kyoto, Japans kultureller Hauptstadt, wird die Tradition mit viel Mühe lebendig erhalten. Nur noch rund 2000 Japaner betreiben heute die zwölf traditionellen Stile. Eine verschwindend geringe Zahl bei 120 000 Schwimmern, die in 5600 Vereinen gemeldet sind.

Das war mal anders. Bei Japans olympischem Schwimmdebüt, 1920 in Antwerpen, schienen die zwei angereisten Athleten noch so aufrecht und langsam durchs Wasser zu waten, wie sie es bei ihren Vorfahren studiert hatten. Nur die Rüstung fehlte. Japans nationaler Schwimmverband gründete sich erst vier Jahre später. Und da sich die Mission in Antwerpen als Blamage offenbart hatte, versuchten die Schwimmer fortan, westliche Techniken zu kopieren. Auch institutionell wurden die traditionellen Stile aufs Abstellgleis manövriert. Das große Budget ging in den modernen Sport.

Anstrengung, die leicht aussehen muss

Toshihiko Satake ist nervös. Als sein Name durch die schwüle Hallenluft schallt, steigt er schon zitternd die Leiter hinab ins Wasser, viel zu früh. Sensei Koga zuckt zusammen. „Was habe ich ihm gesagt…“, flüstert er. Im Wasser zieht Satake eine Gerade mit dem legendären Scherenbeinschlag, nach dem je ein Bein erst seitwärts angewinkelt und dann der Fuß parallel zum anderen nach unten geschlagen wird.

„Die Technik macht dich langsam, aber sie erlaubte es den Samurai, durch Gewässer mit Strömungen von allen Seiten zu kommen“, erklärt Koga. Der von ihm betreute Satake steht aufrecht, bewegt die Arme kaum. Ziel ist es, möglichst seicht durchs Wasser zu fahren. „Von draußen darf auf keinen Fall sichtbar sein, wie anstrengend das eigentlich ist“, sagt der 69-jährige Koga und beugt seinen schon gebückten Oberkörper noch ein Stück nach vorn.

Die traditionellen Stile, deren Variationen sich auch ohne Rüstung, dafür aber manchmal durch andere Eigenarten wie verbundene Füße oder eine zehn Meter große Flagge in einer Hand kennzeichnen, könnten japanischer kaum sein. Historisch entstanden sie als Überlebenstechnik. Stile wie der des Hosokawa-Clans ähneln in der Haltung einer Kampfsportart, andere sind als eine Art Hindernislauf im Wasser stärker auf Fortbewegung ausgelegt.

Immer geht es aber auch um Schönheit. Am Beckenrand sitzt eine Jury und streckt nach jedem Auftritt Noten in die Luft. Jeder der Juroren bewertet die passgenaue Bewegung eines bestimmten Körperteils. Damals, in der natürlichen Umgebung der Samurai, dürfte es kaum einen Fisch oder Feind im Fluss gestört haben, ob die Haltung eines Schwimmers nun blitzsauber war. Über die Jahrhunderte aber entwickelten sich die Stile auch zu einer akribischen Kunstform.

Felix Lill

Aus Zeit

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