Steinböcke nutzen die Sonne zur "Energiegewinnung"

Forscher der Vetmed Wien fanden heraus, wie große Säugetiere den Winter im Gebirge überstehen können
Pflanzenfressende Tiere in alpinen Regionen haben ein großes Problem: Während im Sommer ausreichend Nahrung zur Verfügung steht, sind die Winter rau und das Nahrungsangebot äußerst knapp. Wegen der tiefen Temperaturen müssen die Tiere aber mehr Energie für die Aufrechterhaltung einer hohen Körpertemperatur aufwänden. Kleine Säugetiere lösen dieses zweifache Problem, indem sie in den täglichen Ruhephasen in Kältestarre fallen oder gar Winterschlaf halten. Abgesehen von Bären tun dies große Tiere üblicherweise nicht, wahrscheinlich weil die Gefahr zu groß wäre, Fressfeinden zum Opfer zu fallen. Wie also meistern sie den Winter?

Reduzierte Herzschlagrate

Dieser Frage haben sich Wissenschafter vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Uni Wien angenommen. Die Forscher statteten freilebende Alpensteinböcke mit Sendern aus, mit Hilfe derer sie die Herzschlagrate – einen guten Indikator des Energieverbrauches – die Körpertemperatur und die Aktivität der Tiere ununterbrochen über einen Zeitraum von zwei Jahren messen konnten. Parallel dazu wurden verschiedene Wetterdaten aufgezeichnet.

Die erste Erkenntnis: Steinböcke senken im natürlichen Lebensraum während des Winters die Herzschlagrate um rund 60 Prozent. Jede Nacht kühlen die Tiere aus, im Winter aber doppelt so stark wie im Sommer. Im Winter sind sie auch weniger aktiv. Offensichtlich reagieren die Tiere auf niedrige Temperaturen nicht mit höherer innerer Wärmeproduktion oder vermehrter Nahrungssuche, sondern mit einem Absenken der Körpertemperatur, um ihren Fettverbrauch und Nahrungsbedarf zu reduzieren. Allerdings stellten die Forscher fest, dass der Rückgang der Herzschlagrate viel höher war, als durch geringere Aktivität und niedrigere Körpertemperatur erklärt werden kann. Die Steinböcke setzen also noch weitere Tricks ein, um Energie zu sparen, aber welche?

Morgendliches Sonnenbad

Die Lösung des Rätsels liegt darin, wie die Tiere von der niedrigen Körpertemperatur am Ende einer Winternacht wieder auf normale Werte kommen. Die Wissenschafter bemerkten einen engen Zusammenhang zwischen den Veränderungsmustern der Körpertemperatur und der „wirksamen“ Umgebungstemperatur, d.h. der Kombination von Lufttemperatur, Wind und Sonneneinstrahlung. Nach Sonnenaufgang steigt die Körpertemperatur rasch an, viel schneller als im Sommer und deutlicher als die Herzschlagrate. Offensichtlich bringen die Tiere ihre Körpertemperatur mit Hilfe eines morgendlichen Sonnenbades wieder auf hohe Werte. Das Aufwärmen verbraucht deshalb kaum Energie. So können sich die Tiere die stärkere nächtliche Abkühlung leisten, den wichtigsten Beitrag zur Reduktion des Energieverbrauchs im Winter.

Die normale Bewegungsaktivität wird erst wieder aufgenommen, wenn die Körpertemperatur eine entsprechende Höhe erreicht hat, etwa um die Mittagszeit. Vorher ist nur wenig Aktivität festzustellen, die aber genau um den Sonnenaufgang herum mit einer besonders ausgeprägten Erhöhung der Körpertemperatur einher geht. Daraus schließen die Wissenschafter, dass sich die Tiere morgens, noch lethargisch von der nächtlichen Auskühlung, von ihrem Schlafplatz nur bis zur nächsten sonnenbeschienenen Stelle bewegen, um sich dort passiv von der Sonnenstrahlung erwärmen zu lassen.

Reptilienerbe?

Von Reptilien ist eine derartige Nutzung der Sonnenenergie wohl bekannt, auch von kleineren Säugetieren, wie Klippschliefern oder Zwergmakis. Dass große Tiere wie die Steinböcke diese „Energiegewinnung“ in einem solchen Ausmaß einsetzen, damit hatte niemand gerechnet. „Möglicherweise spielt die Nutzung externer Wärmequellen für den Energiehaushalt von Säugetieren eine viel größere Rolle als bisher angenommen. Dass auf diese Art Energie gespart wird, wenn die Nahrung knapp ist, könnte ein uraltes Erbe von unseren Reptilienvorfahren sein.“ meint Walter Arnold von der Veterinätmedizinischen Uni Wien. (red)

Aus:derstandard.at

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