"Viele Männer sind emotionale Analphabeten"

Kongress: Wissenschaftler suchen Mann von morgen

Einsam, unsicher, depressiv – Männer leiden still. „Die Praxen sind voll mit emotionalen Analphabeten“, sagt Psychoanalytiker Matthias Franz. Im heute.de-Interview erzählt der Wissenschaftler, was den Männern fehlt – und wie man ihnen helfen kann.

heute.de: Sie kämpfen für „neue Männer“, was ist so verkehrt an den alten?
Matthias Franz: Mit dem Kampf ist das so eine Sache. Aber so wie bisher kann es nicht weiter gehen. Wir haben schreckliche Vorbildgenerationen von Vätern: Der wilhelminische Patriarch, der soldatische Vater im Dritten Reich, der tote Vater nach dem Krieg, der abwesende Vater heute. Das war und ist verheerend für die nach Vorbildern suchenden Söhne
heute.de: Es geht Ihnen also um die Väter?Franz: Nicht nur. Aber eine männliche Identitätsfigur ist für Jungs ganz wichtig. In den Kindergärten, in den Grundschulen und leider auch zu Hause, sind Männer rar. Nur etwa fünf Prozent der Kita-Erzieher sind männlich. Das ist ein diskriminierendes Ungleichgewicht. Durch die vorwiegend weibliche Erziehung, Stichwort Erziehungsmatriarchat, werden viele Jungs verunsichert. Sie haben regelrecht Angst um ihre kleine Männlichkeit. Sigmund Freud nannte das übrigens Kastrationsangst, die sich damals allerdings eher auf den Vater bezog.
Jungs zweifeln zum Beispiel, ob ihr Bewegungsdrang sozial überhaupt erwünscht ist. Wenn es zu Hause einen Papa gibt, oder der Junge im Fußballverein spielt, dann geht es häufig gut. Wackelt aber das männliche Fundament im privaten Umfeld, beobachten wir zwei typische Muster: Entweder die Jungs gehen in die feminine Anpassung und machen es den Frauen recht, oder sie bekommen Angst und werden aggressiv.
heute.de: Beides klingt nicht gesund.

Franz: Richtig. Der Angepasste ist in sich selbst nicht zu Hause und hat deshalb als Erwachsener oft ein unsicheres Selbstwertgefühl. Außerdem ist er später als Partner nicht so interessant, wirkt als Frauenversteher oder Muttersöhnchen. Bei einem aggressiven, im Grunde aber einsamen Jungen, wird schnell der kleine Macho dingfest gemacht, an dem dann Erziehung exerziert wird. Oder es wird sogar vorschnell mit Chemikalien wie Ritalin heran gegangen.

heute.de: Aus Jungs werden Männer. Setzt sich die Misere fort?
Franz: Unsere emotionalen Fähigkeiten entwickeln sich aus dem Kindlich-Unbewussten. Wenn da was schief gelaufen ist, entlädt sich das erst viel später. Zum Beispiel wenn ein Mann eine feste Partnerschaft eingeht und sich plötzlich wundert, dass ihm das Angst macht. Außerdem erwarten unsere starken, gut ausgebildeten und selbstbewussten Frauen einen emotional kompetenten und auch konfliktfähigen Partner. Der aber bitteschön auch sexuell selbstbewusst auftreten soll, der liebevoll mit den Kindern umgeht und gleichzeitig noch im Beruf erfolgreich ist.
Männer, die sich ihrer selbst sicher sind, finden ihren Weg. Aber wer im Kern verunsichert ist, stellt sich die Frage: „Bin ich überhaupt ein richtiger Mann?“ Unsere Behandlungszimmer sind voll. Viele kommen als emotionale Analphabeten zu uns, abgeschnitten von ihrem inneren Gefühlsleben.
heute.de: Warum kommen die Männer zu Ihnen?
Franz: Wenn die Partnerschaft zerbricht, oder wenn der berufliche Rückschlag kommt. Schwäche zeigen, Abhängigkeit ohne Angst zu ertragen, das sind die entscheidenden sozialen Kompetenzen, die viele nie erlernt haben. Man bedenke, dass Männer sich dreimal häufiger umbringen als Frauen. Allein das ist ein gesundheitspolitischer Skandal.
heute.de: Sie wünschen sich eine Männerpolitik. Wie könnte die konkret aussehen?
Franz: Lebenserwartung, Suizide, Krebsfrüherkennung – da rührt sich nichts. Wir brauchen endlich Gleichstellungsbeauftragte für Jungen und Männer, vor allem in Gesundheits- und Bildungsfragen. Wichtig ist auch eine gezielte Einstellung von Männern in Kitas und Grundschulen. Skandinavien regelt das über eine Quote. Ich frage mich auch, warum das „M“ für „Männer“ im Kürzel „BMFSFJ“ nicht auftaucht. Es heißt Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“. An Männer hat niemand gedacht.

Michael Franz

Professor Matthias Franz ist stellvertretender Leiter des Instituts für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Unter anderem entwickelte der zweifache Familienvater Präventionsprogramme für psychisch belastete alleinerziehende Mütter.

Aus:Heute.de

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