16 Erste Arbeit

Kurz nachdem ich wieder zu Hause war- September 1942 – hiess es in Bochum die Engländer hätten Essen bombardiert. Alle Welt eilte nach Essen um sich das anzusehen. Es war der erste Angriff auf eine deutsche Stadt wobei Zivilisten umkamen. Es waren allerdings sehr wenige Flugzeuge eingesetzt worden und der Schaden war gering. Aber man hatte die Warnung verstanden und baute sehr schnell verschiedene Bunker, teils unterirdisch, teils Hochbunker.

Genau vor unserem Haus auf dem Westfalenplatz bauten man in Affengeschwindigkeit einen Tiefbunker. Aber es dauerte noch ein paar Monate ehe die Allierten dazu übergingen, systematisch die deutschen Städte zu zerstören. Am Anfang suchten sie sich noch militärische Ziele und Produktionsstätte aus. Die Bombardierung Essens galt wahrscheinlich den Kruppwerken, und da in Bochum auch sehr viele Fabriken waren, fielen auch bei uns vereinzelte Bomben. Bei einem dieser Angriffe wurde unser Gebäude durch eine Brandbombe getroffen und brannte total aus. Als die Feuerwehr abzog standen nur noch die Brandmauern.

Wir Deutschen sind ein dizipliniertes und organisatorisches Volk, sonst wäre es auch nicht möglich gewesen sechs Jahre der ganzen Welt die Stirn zu bieten. Ich erwähne dies im Zusammenhang mit dem Brand unseres Gebäudes. Gleich am nächsten Morgen ging Vater aufs Bezugsamt und bekam Dachbalken und Wellbleche geliefert. Da wir Parterre wohnten baute er das Dach über unserer Wohnung. In 2 Tagen hatten wir wieder ein Dach übern Kopf und wohnten nun alleine in dem Gebäude.

Ende 1942 gingen die Allierten dazu über Flächenbombardierungen zu starten. Das ging dann so vorsich: Es starteten in England Geschwader von 500 Flugzeugen, flogen über Holland ein und suchten sich ihr jeweiliges Ziel. Die ersten Maschinen warfen Leuchtkörper ab, im Volksmund Christbäume genannt, die das ganze unterliegende Gebiet taghell erleuchteten. Dann kamen die Geschwader und warfen in Interwallen ihre Bomben ab, sodass eine Stadt wie Bochum z.B. bei einem Angriff völlig zerstört wurde. Zu unserem Leidwesen lagen wir, d.h. das Ruhrgebiet in der Einflugschneise. Welches Ziel sie sich auch vorgenommen hatten, wenn sie Holland überflogen bekamen wir Alarm. Das heisst, seit Ende 42 bis Kriegsende hat im Ruhrgebiet kein Mensch eine Nacht ohne Unterbrechung schlafen können. Ich komme darauf später zurück.

März 1943 kam ich aus der Schule, die letzten Monate waren nicht besser als die Monate in Onstmettingen, gelernt wurde nicht viel, teils weil die Schulen zerstört wurden, teils aus Müdigkeit. Da kam die Frage auf: was werden? Mein Wunsch war Schiffskapitän zu werden. Ich hatte in den letzten Jahren alle Karl May Bücher (65) gelesen, und mit dem Finger auf der Landkarte die Wege Old Shatterhands und Kara Ben Nemsi nach verfolgt. Dann kam ein Buch von Kurt Faber in meine Hand, dessen Abenteuer mich stark begeisterten, es stand also für mich fest die Welt kennenzulernen. Was wäre besser als auf Schiffen zu fahren? Aber 1943 gab es nur Kriegsschiffe, Personal fuer die Handelsmarine war nicht gefragt.

Mutter wollte auf keinem Fall „dreckige Wäsche“ waschen, sie hatte genung von der Arbeitskleidung Vaters. Der Vater riet mir Eisenbahner oder Koch zu werden. So ging dann Mutter eines Tages zur Arbeitsberatung mit mir. Ich bekam das beste Zeug angezogen, musste mir Gesicht und Ohren waschen. Der Beamte fragte nach meinem Wunsch, Mutter antwortete für mich, ich wolle in die kaufmännische Lehre. Ja, meinte der Beamte, was ich denn von Autoschlosser hielt, Mutter antwortete ich wolle in die kaufmännische Lehre. Nach einigen hin und her meinte der Beamte, ja er hätte da vielleicht was für mich, aber die Leute hätten natürlich lieber gerne Jungens mit Abitur, was natürlich heut zu Tage schwer wäre, weil die Abiturienten allen eingezogen wären. So sollte ich mich bei der Firma Westfalia, Dinnendahl und Gröppel melden.


Der Herr W. meinte dann auch noch mal, das es heute schwer wäre Abiturienten zu bekommen, er wolle es mal mit mir versuchen. Man machte einen 3 jährigen Lehrvertrag und ich fing am 1.April in der Abteilung Magazin an. Mein Gehalt betrug 25 Mark im ersten Jahr. Meine Arbeit bestand darin Material auszugeben. Die Firma baute Bergbaumaschinen, z.B. Schüttelrutschen.Wenn die Arbeiter Nieten oder Schrauben oder sonstige Dinge brauchten gingen sie zum Vorarbeiter und liessen sich die Dinge aufschreiben, die wir dann aushändigten. Es gab da hunderte von verschiedenen Artikeln, die ich im Laufe meiner 3 monatigen Arbeit dort kennenlernte. Diese Aufträge gaben wir dann der Abteilung „Nachkalkulation“ weiter, wo man später feststellte ob man sich bei der „Vorkalkulation“ nicht verkalkuliert hatte.

Mein Freund Kurt war natürlich auch längst aus Ungarn zurück. Seine Oma wollte genau wie Mutter das er in die kaufm. Lehre kam. Er war bei einer Mineralwasserfabrik“Karl Linden“ in der Lehre. Das war ein kleiner Betrieb wo es nur den Chef, einen Fahrer und Kurt als Lehrling gab. An den Abfüllmaschinen hatte man 6-7 junge Mädchen angestellt. Der Fahrer musste die Ware verteilen, der Chef ging oft zur Bank u.s.w und Kurt war Bursche für alles und Hahn im Korb! Er war Zeit seines Lebens Glückskind, ich glaube er ist ein Sonntagskind.

Als die ersten 3 Monate in der Abteilung Magazin um waren, versetzte man mich in die Abteilung „Einkauf“. Das war die schönste Zeit meiner Lehre denn ich war ständig unterwegs. Man schickte mich überall hin, ich war ein freier Mensch, denn man konnte meine Zeit nicht nachprüfen.

Nachst mussten wir 2-3 Mal in den Bunker. Jeder hatte einen Beutel mit dem Nötigsten mit, oder mit den Sachen die man retten wollte, z.B. Schmuck oder Geld. Man zog sich gar nicht ganz aus, so das man ja bald den Schutzraum erreichte. Später blieb ich öfter im Bett liegen, man wurde mit der Zeit stumpf und es war einem alles egal.

Die deutsche Abwehr war natürlich auch nicht müssig, aus allen Richtungen leuchteten grosse Scheinwerfer auf, suchten den Himmel nach Flugzeugen ab. Sobald sie eins gefunden hatten schoss die Flak (Flugzeugabwehrkanone) und holten auch oft einen runter. Natürlich waren auch die deutschen Jagdflugzeuge unterwegs. Die feindlichen Flieger hatten kein sicheres Leben. Die deutsche Bevölkerung war so aufgebracht, wenn sie einen am Fallschirm runterkommen sahen, waren sie drauf und dran diesen zu lynschen. Und die Fallschirme waren begehrtes Gut, man konnte da ein Dutzend Hemden raus schneidern.

Zu Hause war ständig von dem verbrecher Hitler die Rede. Die Mutter bangte ständig, dass den Vater jemand hören konnte, waren doch die Spitzel überall. Wenn Onkel Theo kam, brachte er die neuesten Nachrichten der BBC aus London. Es war verboten, den ausländischen Sender zu hören. Onkel Theo verbreitete diese Nachrichten natürlich auch unter seinen Arbeitskameraden und wurde Mitte 1943 verhaftet und ins Bochumer Untersuchungsgefägnis gesteckt.

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