22 Hamsterfahrt Teil 2

Als mal wieder ein Paket kam, fuhren wir beide nordwärts. Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, was ich zum umtauschen mit nahm, es konnte sich eigentlich nur um Sachen handeln, die ich in den Ruinen gefunden hatte und einen gewissen Wert hatten . Auch dieses Mal nahmen sie dem Kurt seinen Tee ab, aber andere Sachen brauchten sie schon nicht mehr, damals hiess es in Deutschland, den Bauern fehle nur noch der Teppich im Schweinestall.

Unsere Stimmung war auf dem Nullpunkt angekommen als wir plötzlich an eine Waldschneise kamen und einen Kartoffelacker mit vielen Kartoffeln vorfanden. Sie hatten das Feld schon abgeerntet, aber sie hatten noch Kartoffeln liegengelassen zur Nachlese. Mensch unsere Augen fielen aus den Höhlen. Zu unserer Freude hatten wir neun Jutesäcke mitgenommen, wir waren gut vorbereitet,was wiederum unsern Optimismus unter Beweis stellt. Die 9 Säcke füllen war schnell gemacht, aber dann zum Bahnhof kommen war schon schwieriger. Einer von uns trug jeweils einen Sack soweit, dass wir ihn in den Augen behalten konnten, kam zurück und der Andere trug den Zweiten zu dem Ersten und so weiter bis zum Bahnhof.


Als der Zug schliesslich kam, war es noch schwieriger die Säcke in den Zug zu bekommen, denn der war voll von Hamsteren. Der Kurt hatte u.a. ein lebendes Huhn erstanden welches auch in einem Sack war. Ich hatte das Sackende in einer Hand, und das Huhn im Sack war 1 und 1/2 Meter weiter zwischen den Beinen irgendwelcher Leute. Es hat trotzdem die Reise überstanden, musste dann allerdings bald dran glauben. Man kann das garnicht so plastisch schildern, 10 Stunden stehend zwischen den vielen Menschen, Säcken, Koffern, Kasten und Tieren. Ich erinnere mich noch, wir kamen spät abends in Dortmund an, bis zum nächsten Morgen war kein Anschluss.

Auf deutschen Bahnhöfen gibt es meistens zwei Eingänge, je nach Grösse des Bahnhofes liegen gut 100 Meter dazwischen. Rechts und links gibt es da die verschiedenen Geschäfte. Zur Zeit meiner Erzählung waren diese ehemaligen Geschäfte allerdings Schutthöhlen. Wir schleppten also unsere 9 Säcke den Bahnsteig runter und machten es uns gemütlich in einem dieser Schuttlöcher. Natürlich waren schon die meisten besetzt, wir suchten uns eins wo die wenigsten Galgengesichter waren. Man hatte schon Feuer gemacht, denn es wurde eine kalte Nacht. Wir teilten die Wache ein, und es schlief jeweils einer von uns.

Am nächsten Morgen gings weiter nach Bochum. dort blieb ich bei den Kartoffelsäcken am Bahnhofvorplatz sitzen während Kurt nach Hause ging und eine Schubkarre holte. Ich kann mich an den Tag genau erinnern, es war ein Sonntagmorgen und sämtliche Bochumer Kirchenglocken läuteten. Komischerweise waren die Kirchen bei den Bombardierungen fast alle glimpflich davon gekommen. Als wir endlich mit unseren Kartoffelsäcken nach Hause kamen, waren alle glücklich.

Ich will noch zwei Hamsterfahrten erzählen ohne das Thema ganz auszuschöpfen. Diese ganze Hamsterei zog sich auch hin bis 1948, d.h. meine Erzählungen spielten sich nicht alle im Jahre 1945 ab sondern in den ersten drei Nachkriegsjahren. Eines Tages fuhr ich mit dem Fahrrad los, um irgendetwas Essbares anzuschaffen. Ich muss hier erwähnen, dass in Deutschland sowohl im ersten Weltkrieg als auch im zweiten die Steckrüben mit Kartoffeln das Hauptnahrungsmittel der Deutschen Bevölkerung war. Ich fuhr also über Land und fand nach langer Fahrt ein grosse Rübenfeld. Absteigen und den auf dem Gepäckträger befestigten Kasten mit Rüben zu beladen war eins. Schon kurz darauf auf dem Nachhauseweg bekam ich einen Platten. Da ich weder Flickzeug mit hatte noch Reparaturwerkstätten gab, nahm ich den Reifen ab und fuhr auf den Felgen zurück. Als ich mit meinen Rüben glücklich zu Hause ankam, bekam ich zwar keine Schläge vom Vater, aber sein Blick tötete mich, ich hatte Runkeln mitgebracht, die man angeblich nicht essen konnte und als Schweinefutter verwandte.

Die nächste Sache die ich hier schildern will, war eigentlich keine Hamsterfahrt in dem Sinne. Kurt hatte von seinem Vater die Nachricht bekommen, er solle zu seinem Onkel nach Neuwied fahren und sich vom Onkel Sachen abholen. Der Onkel war der einzige Bruder seines Vaters und hatte in Neuwied eine Bimssteinfabrik. Hier muss ich nun folgendes einfügen: Die Siegermächte hatten einige Zeit nach Kriegsschluss ihre in Yalta ausgehandelten Besatzungszonen besetzt, d.h. bei uns zogen die Amerikaner ab und es rückten die Engländer nach. Frankreich besetzte Südwestdeutschland, die Engländer also Nordwestdeutschland, die Russen Ostdeutschland und die Amerikaner Mittel und Süddeutschland. Uns Deutschen war es verboten von einer Zone in die Andere zu Fahren. Neuwied lag in der französischen Besatzungszone.

Es war wahrscheinlich im Sommer 1946 als Kurt und ich uns nach Neuwied aufmachten. Wir fuhren mit der Bahn bis Köln und von dort aus rechtsrheinisch bis Honnef. Heute fahren alle Personenzüge am linken Rheinufer während auf der anderen Seite nur Güterzüge fahren, aber damals fuhren die Personenzüge auf beiden Seiten, da die meisten Brücken noch zerstört waren. Südlich Honnef verlief die Besatzungsgrenze, wir wollten die Nacht abwarten um die Grenze zu überschreiten. Wir suchten uns also ein schönes Plätzchen am Rheinufer und legten uns lang hin. Irgendwann sind wir dann eingeschlafen und wurden unsanft von Militärpolizei geweckt die uns mit ihren hellen Taschenlampen anstrahlten. Wir mussten mit und wurden ins Militärgefängnis gesteckt, wo sie uns am anderen Morgen entliessen.

Daraufhin gingen wir aber trotzdem querfeldein über die Grenze, und kamen auch irgendwie nach Neuwied. Der Onkel hatte allerlei schöne Sachen für den Kurt, an die einzelnen Dinge kann ich mich nicht mehr erinnern, aber Mehl war dabei. Der Rückweg war insofern gefährlicher, wenn sie uns erwischt hätten, würde man uns die Sachen abgenommen haben. Davor war man allerdings niemals sicher bis man nicht zu Hause war, denn die deutsche Polizei stand an den Bahnhöfen und nahm den Leuten auch die gehamsterten Waren ab. Die Polizei trug seinerzeit statt Waffen Aktentaschen, worin die die abgenommenen Sachen zu sich nach Hause trugen. Nun, damals war sich jeder selbst der Nächste, jeder wollte überleben.

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