17 Marineschule

Ich hatte oben schon erwähnt, dass die kleinen Jungen ins „Jungvolk“ kamen und ab 12 jahren in die „Hitlerjugend“(HJ). Ich wählte die Marine HJ. Oktober 1943 schickte man mich für einen Monat ins Marinelager in Prieros. Ich bekam die Fahrkarte zugeschickt und musste zu einer bestimmten Zeit dort sein. Ich fuhr also nach Berlin Zoo, stieg in die Stadtbahn um nach Grünau, von dort weiter nach Königswusterhausen. Von dort aus hatte ich 15 km zu laufen. Die Landschaft um Berlin ist wunderschön, viele Seen und viel Wald. Der Ort Prieros ist ein ganz kleines Nest, die Marineschule lag direkt an einem See.

Für mich war dieser Monat direkt ein Urlaub, konnte man doch hier die Nächte durchschlafen. Wir bekamen eine kleine militärische Ausbildung. Man brachte uns bei, Seemansknoten zu machen, wir lernten den Unterschied zwischen einem Boot und einer Jolle, wir ruderten jeden Tag ein paar Stunden auf dem See, lernten das Morse Alphabet und die Flaggensprache. Wir lernten den Sexanten zu gebrauchen und das nördliche Sternbild kennen. Man brachte uns bei, die deutschen Kriegsschiffe an den Silhuetten zu erkennen, man redete von Backbord, Steuerbord, Luv und Lee.

Auf der Rückfahrt nach Bochum blieb ich einen Tag in Berlin, besuchte den Reichstag, das Brandenburger Tor, den Tiergarten mit Funkturm und Kudamm. Sehr spät am Abend nahm ich den zug um Morgens bei Tageslicht in Bochum anzukommen. Als sich der Zug Bochum näherte, sah ich die Stadt in Schutt und Asche liegen. Überall rauchte es noch, es stank widerlich nach verbrannten Leichen. Ich ging die paar Meter vom Bahnhof über Geröll nach Hause. Unser Haus war ein Trümmerberg wie auch alle Nachbarhäuser. Auf dem Geröll wo unser Haus stand war ein Schild „Ludwig wir wohnen in Weitmar bei Tante Elise“.


Es gab natürlich kein Verkehrsmittel, so ging ich dann die etwa 6 km zu Fuss, ein Bild des Grauens überall. Der Angriff war am 3. November 1943, die Nacht die ich im Zug von Berlin verbrachte. Onkel Theo war im Untersuchungsgefägnis umgekommen, zwei Kumpel von unserer Bude in Peterstal waren tot, einer ist im Keller ertrunken, der andere verbrannt. Es waren etwa 20000 Tote zu verzeichnen.

Tante Elise war die 2. Frau des Mannes meiner verstorbenen Tante, die älteste Schwester meiner Mutter. Sie stammte aus der Eifel, sprach französisch und wurde von uns kurz „madame de vou“ genannt. Sie war masslos geizig und religiös. Sie kam aus ganz ärmlichen Verhältnissen, Onkel Wilhelm B. war einfacher Arbeiter auf dem Bochumer Verein. Die Verhältnisse damals waren nicht dazu angetan als Arbeiter Reichtümer zu erwerben. Trotzdem schaffte es Tante zunächst ein Grundstück zu kaufen und später zu bauen. Es wurde ein schmuckes Haus, bei uns Villa genannt. Es bestand aus der Parterre Wohnung, eine andere in der ersten Etage und darüber eine Mansardenwohnung, natürlich mit Keller, wie alle Häuser in Deutschland gebaut werden. Tante bewohnte die Mansardenwohnung und vermietete die beiden besseren Wohnungen. Die Wohnung im ersten Stock war kurz vor dem Bombenangriff frei geworden, also lag es Nahe, dass wir als ihre Mieter dort einzogen.

Als ich aus Berlin kommend dort ankam fand ich meine Eltern und Schwester lebend an, aber wir hatten alles verloren bis auf ein paar Sachen die jeder mit in den Luftschutzbunker nahm. Vater nahm mich gleich mit, Betten zu besorgen was natürlich das Dringenste war. Wir fanden bald in den Trümmern ein paar Bettgestelle und bekamen Nachmittags von den Behörden die dazugehörigen Matratzen. Auf unserer Suche fanden wir auch ein breites Bett, sozusagen Matratze mit Beinen drunter, was sicher sehr teuer gewesen sein muss, eine Schlaraffiamatratze. Leider war sie ganz nass geworden, denn die grossen Brände nach den Angriffen erzeugten Regen. Wir schleppten das Dingen mit Anstrengung aller unserer Kräfte nach Hause und es wurde mein Bett. Es dauerte Wochen ehe es ganz trocken war. Mutter legte Zeitungen und eine Decke drüber, nur so konnte man darauf schlafen. Die Zeitungen wurden jeden Morgen ausgewechselt. In den nächsten Tagen suchten wir weitere Sachen zum Komfort unserer Wohnung.

Das Leben ging weiter, und weiter gingen die Bombenangriffe. Wo wir jetzt wohnten gab es keine Bunker in der Nähe, wohl gab es verschiedene Stollen, die die Leute in die Erde trieben und mit Holzbalken abstützten. Für eine genau treffende Bombe hätte der Stollen auch nichts genützt, sie waren ein paar Meter unter der Erde und die Bombenkrater waren manchmal sehr viel tiefer. Das Leben hing zu der Zeit an einem ganz dünnen Fädchen. Wir gingen bald wieder unserer Arbeit nach, Vater hatte natürlich viel zu tun, es wurde viel aufgebaut, provisorisch natürlich. Es mussten ja Wohnungen, für die Ausgebombten geschaffen werden, Behelfswohnungen hiess es damals.

Elses Arbeitgeber, das Kaufhaus Suren war auch ausgebombt worden, so bekam sie eine Stelle beim Bochumer Verein als Bürokraft. Andere Mädchen in derselben Lage kamen in die Rüstungsindustrie. Meine Firma stand noch, ich war inzwischen in der Abteilung Vorkalkulation versetzt worden, eine öde Arbeit. Kurt und ich trafen uns fast täglich, gingen in sämtliche Filme die gespielt wurden. Es gab ja kein anderes Vergnügen.

Tante Elise machte uns im allgemeinen und mir im Besonderen die Hölle heiss. So fragte sie z.B. die Mutter- mit ihrem penetraten Blick ansehend- „was habt Ihr denn gestern Abend um 10 Uhr noch das Wasser laufen lassen?“ Sie benutzte jeden Schluck Wasser wenigstens drei Mal, zum Gemüse waschen, Geschirr waschen und im Klo runterzuspülen. Eier ass sie keine wiel sie die Schale wegwerfen musste. Ich habe nie einen geizigere Person kennengelernt. Und dann lief sie dreimal am Tag in die Kirche, sie lag schräg gegenüber. Sonntags Morgens fragte sie mich ob ich schon in der Messe war, und wenn ich bejahte horchte sie mich aus was denn der Pastor auf der Kanzel gesagt hätte. ich war natürlich nicht in die messe gegangen, hatte keine Ahnung was der Pastor gesagt haben könnte. Dann schaute sie mich vernichtend an, dass ich ganz knall rot wurde und am Liebsten wie Rumpelstielzchen in den Boden versunken wäre.

Später sah sie wahrscheinlich ein, dass ich nie ein guter Kirchgänger werden würde und liess mich in Ruhe, nicht aber meine Mutter. Denn der gab sie die Schuld mich nicht im Christlich-Katholischen Glauben erzogen zu haben. Arme Frau meine Tante, sie hätte wahrscheinlich ein besseres Los erwarten können bei ihren Beziehungen zum lieben Gott. Der Ehemann verunglückte auf dem Bochumer Verein, und ihr Stiefsohn Paul, eine Theologiestundent kam in eine Strafkompanie und an der Front um. Sie überlebte ihre beiden Männer noch gut 20 jahre, und stiftete noch Unfrieden nach ihrem Tod.

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