Ab wann bin ich Hypochonder?

Die groesste Behinderung des Lebens bestehe darin ständig auf seine Gesundheit zu achten, schrieb der griechische Philosoph platon, ein BAMS-Report ueber das Phänomen Hypochondrie
Wenn es um Arztbesuche geht, sind wir Weltmeister. Nach einer Studie der Barmer-GEK konsultiert der Durchschnittsdeutsche 18 Mal im Jahr einen Mediziner. Und dann gibt es Millionen mit hypochondrischen Störungen. Nicht wenige leiden an so extremen Krankheitsängsten, dass das Wartezimmer zu ihrem Lebensraum geworden ist. Woher die unbegründete Furcht kommt, und welche Ausgänge es aus der Not gibt, erklären Experten in BILD am SONNTAG.

Was ist Hypochondrie?

Professor Volker Faust, Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Ulm: „Die ängstliche und vor allem unbegründete Befürchtung, krank zu sein oder krank zu werden.“

Wie verhält sich dieser „Kranke“?

Professor Faust: „Typisch ist, dass sich Hypochonder zwanghaft mit ihrem Körper beschäftigen. Sie suchen ständig nach Krankheitsanzeichen. Kreisen die Gedanken erst einmal um einen Verdacht, zum Beispiel Krebs, sind sie schwer davon abzubringen, auch durch entwarnende Untersuchungsbefunde nicht.“

Wie viele Menschen leiden unter Hypochondrie?

Hans-Christian Deter, Professor für Psychosomatik und Psychotherapie, Charité Berlin: „Etwa 11 Prozent leiden unter Beschwerden, für die sie keine körperliche Ursache finden. Man nennt das somatoforme Störung. Schwere Hypochonder sind aber nicht mehr als ein Prozent der Bevölkerung.“

Ist man schon Hypochonder, wenn man wegen eines Problems zu drei verschiedenen Ärzten geht?

Professor Deter: „Eine Zweitmeinung einzuholen ist absolut okay, denn es ist ein berechtigter Wunsch des Patienten, Klarheit zu bekommen. Bei Beschwerden, wo Experten unterschiedlicher Fachrichtungen helfen können, etwa bei Rückenproblemen, können es auch schon mal mehr sein. Aber nach fünf bis maximal acht Ärzten sollte Schluss sein.“

Wie viel Selbstbeobachtung ist gesund?

Professor Deter: „Sich selbst zu beobachten und ein Gefühl für die Äußerungen des eigenen Körpers zu entwickeln, ist wichtig. Problematisch wird es, wenn schon harmlose Symptome als Zeichen schwerer Krankheiten gedeutet werden und Grübelei und Sorgen das Leben einschränken. Umgekehrt ist aber Ignoranz genauso gefährlich. Wer seine Herzprobleme nicht wahrnehmen will oder Hautveränderungen übersieht, riskiert auch seine Gesundheit.“

Gibt es Krankheiten, die Hypochonder besonders häufig vermuten?

Professor Faust: „Ja. Am häufigsten Krebs, dann Herzerkrankungen und schwere neurologische Leiden wie Multiple Sklerose. Außerdem häufig sind gefährliche Infektionen und Hauterkrankungen.“

Wie gehe ich damit um, wenn ich denke, dass ein Freund oder Familienmitglied an einer eingebildeten Krankheit leidet?

Dr. Bernhard Palmowski, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Innere Medizin, Berlin: „Seine Ängste auf jeden Fall ernst nehmen. Denn belächelt man sie, kann das die Ängste und Selbstzweifel noch verstärken. Sollten sich seine Befürchtungen ständig wiederholen, den Menschen direkt und verständnisvoll ansprechen. Aber achten Sie darauf, dass Sie sich nicht selbst von den Krankheitsängsten anstecken lassen. Das beste wäre, mit ihm zum Hausarzt zu gehen. Der sollte ihn dann zu einem Arzt mit psychosomatischer Qualifikation überweisen.“

Wo liegen die Ursachen für Hypochondrie?

Dr. Palmowski: „Die Ursachen liegen oft in der Kindheit. Zum Beispiel, wen Kinder von überängstlichen und dauerbesorgten Eltern erzogen wurden. Solche Kinder werden in einer Welt groß, die sie sehr einengt, sie kontrolliert und die sie ängstigt. Andere Patienten entwickeln erst dann plötzlich große Ängste, wenn ein nahes Familienmitglied oder der Partner schwer erkrankt oder stirbt. Das löst die Angst aus, auch an der gleichen Krankheit zu sterben.“

Wie therapiert man hypochondrische Störungen?

Professor Deter: „Zuerst dem Betroffenen die Mechanismen seines Leidens klarmachen. Vielen Patienten fällt es schwer, zu akzeptieren, dass ihr Problem ein psychisches ist. Dann kann der Patient Schritt für Schritt lernen, die Äußerungen seines Körpers neu zu bewerten, Oder seine ängstlichen Gedanken zu kontrollieren. Zum Beispiel ausgiebige Krankheitsrecherchen in Büchern und im Internet zu unterlassen.“

Befördert das Internet Krankheitsängste?

Professor Deter: „Ja. Es gibt sogar schon einen Fachbegriff: Cyberchondrie. Auf Webseiten und in Foren gibt es so viele Informationen und Erfahrungsberichte, dass man schnell denken kann: Das habe ich auch. Aber das Internet ermöglicht auch therapeutisches Arbeiten. Schließlich kann man sich dort über Hypochondrie und Ängste informieren.“
Von A. Meissner, K. Quassowsky und V. Weinl

Aus:Bild.de

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