Computerspiele wie „World of Warcraft“ machen süchtig
Besonders Rollenspiele haben es in sich. Wenige Mausklicks, dann schlüpfen die Spieler in die Haut eines schwer bewaffneten Helden: „World of Warcraft“ – „Welt der Kriegskunst“. Wer abschaltet, auch nur für kurze Zeit offline geht, hat schon verloren, weil nun die allzeit präsenten Gegenspieler im Netz die Oberhand gewinnen. Daniel kämpft acht Stunden täglich und findet das ganz normal.
„Viele Leute gehen kaputt bei diesen Rollenspielen, indem sie einfach nur noch das spielen und nichts anderes mehr machen. Mir würde so etwas nie passieren, das kann ich schon mal so sagen, weil einfach das soziale Umfeld, das muss einfach vorhanden bleiben …“
„Das soziale Umfeld muss vorhanden bleiben.“ Leicht gesagt, wenn der Computer keine Zeit mehr übrig lässt. Computerspiele, so Dr. Bert te Wildt – Internet-Psychiater an der Medizinischen Hochschule – sind durchaus mit einem Suchtmittel wie Alkohol vergleichbar.
„Dass man immer mehr von dem Medium braucht. Dass man Entzugserscheinungen bekommt, wenn man es nicht nutzen kann. Dass der Körper immer weiter vernachlässigt wird. Dass soziale Kontakte – Familie, Partnerschaft – vernachlässigt werden, und dass berufliche, schulische Zusammenhänge vernachlässigt werden.“
Dabei erwischt es nicht nur Jugendliche. Nicht nur bildungsferne Schichten. Vom Hauptschüler bis zum Abiturienten: Alle sind gleichermaßen betroffen. Und viele nehmen die Leidenschaft mit ins Erwachsenenalter, wie dieser junge Mann, der anonym bleiben will:
„Ich habe dieses Gefühl jeden Tag. Ich muss mich manchmal zwingen, nicht zu spielen, weil ich dann manchmal sage, Okay, warte mal, ich guck mal kurz rein. Und deswegen kann ich, wenn es hart auf hart kommt, drei Tage, fünf Tage oder auch zehn Tage am Stück spielen – und wenn das natürlich für viele Leute, mit denen ich verabredet bin, natürlich Scheiße ist. Ja, aber für Warcraft habe ich das echt schon mal gemacht.“
Software-Hersteller, so Florian Rehbein vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, zielen mit ihren Programmen auf eine hohe Spielerbindung. Suchtprobleme, die daraus entstehen, werden als „Kollateralschaden“ in Kauf genommen.
„Und wir wissen gerade von Online-Rollenspielen wie zum Beispiel ‚World of Warcraft‘, da sehen wir gerade so bestimmte Belohnungsschemata, das heißt zum Beispiel, sie müssen sehr lange aktiv für eine bestimmte Belohnung kämpfen, indem Sie da so ein Monster besiegen müssen. Und da sind dann Mechanismen gegeben, die uns an das Glücksspiel erinnern. Das heißt, das sind gerade die Dinge, wo wir dann darauf achten müssen, weil sie das Abhängigkeitspotenzial von Spielen stark erhöhen können.“
Es sind weniger die Gewaltspiele, die Jugendliche in den Bann ziehen, sondern Rollenspiele, so die Beobachtung von Psychologen. Die Spieler schlüpfen in die Haut einer geradezu fantastischen Figur, übermächtig, glorreich, siegend – aber nur in der virtuellen Welt. Allein kommen die Betroffen kaum noch aus ihr heraus: Die Uni Mainz reagierte bereits mit einer ambulanten Suchtberatungsstelle für Computerspielsüchtige. In diesen Tagen eröffnet eine 20-Betten-Fachklinik in Iserlohn-Hemer. Anette Teske von der „Realitas“-Fachklinik.
„Also, wir haben einen hohen Anteil an körperlicher Aktivität mit in das Konzept eingebracht. Also das heißt, Psychomotorik, Sporttherapie und Erlebnispädagogik soll ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung werden, weil eben doch die Vernachlässigung des Körpers, die Vernachlässigung einfach auch der körperlichen Erlebenswelt reduziert gewesen ist im Verlauf des exzessiven Computerspiels.“
In der Gemeinschaft zu sein, mit anderen zu reden, den eigenen Körper zu spüren – das müssen die Betroffenen mühsam lernen – an der Hand von Psychologen und Sporttherapeuten.
Das Problem dabei: Obwohl die Zahl der Betroffenen steil nach oben schnellt, Schätzungen sprechen von 100.000 Süchtigen in Deutschland, ist die Computerspielsucht keine anerkannte Krankheit. Dorothee Mücken vom „Fachverband Medienabhängigkeit“ sieht Handlungsbedarf:
„Was wir leisten wollen, ist natürlich, das Thema nach vorne zu bringen. Und dann haben wir noch ein Problem. Die Betroffenen sind da, und wir möchten die Versorgung, das Hilfesystem sicher stellen. Das heißt, es gibt momentan noch kein Störungsbild, das heißt, die Kliniken haben noch keine Sicherheit darin, inwiefern sie das bezahlt bekommen, wenn sie jemanden behandeln. Und das schafft eine hohe Verunsicherung, wo wir uns als Interessenvertretung verantwortlich fühlen, das auch mit politischen Vertretern, aber auch mit Vertretern der Rentenversicherung und Krankenkassen das zu diskutieren und das sicherzustellen.“
Viele Patienten werden zwar heute schon wegen ihrer „Computerspielsucht“ behandelt – meist in psychiatrischen Fachkliniken oder im Rahmen ambulanter Sprechstunden. Doch lediglich Co-Erkrankungen wie Depressionen, Angstleiden oder Verhaltensstörungen können bei den Krankenkassen in Rechnung gestellt werden. Ein unhaltbarer Zustand – findet die Drogenexpertin.
Aus:Deutschlandradio
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