Lieber barfuß laufen?

Extrem dämpfende Joggingschuhe behindern die Reflexe und gelten deshalb als überholt. Das Abrollen der Ferse ist zumeist ein Effekt modernen Schuhwerks. Was es auf sich hat mit Vor- und Nachteilen des Barfußlaufens.
Die Frage, wer gesünder läuft, Menschen in Naturvölkern barfuß auf natürlichem Untergrund oder Menschen moderner Zivilisationen in Schuhen auf Asphalt, treibt Biologen wie Biomechaniker seit einigen Jahren um. Litten die Sammler und Jäger der Steinzeit wie wir an Überlastungsproblemen, an Knie- und Achillessehnenschmerzen? Oder haben wir uns diese Wehwehchen durch zivilisationsbedingten Bewegungsmangel oder gar das Tragen gut dämpfender Turnschuhe selbst eingebrockt?Barfußlaufen ist natürlich

„Menschen sind gemacht, um zu laufen“, sagt der Humanbiologe Daniel Liebermann von der Harvard-Universität in Cambridge. Hochmoderne Turnschuhe mit Dämpfungs- und Stabilisierungs-Funktionen gebe es aber erst seit Mitte der 70er Jahre. Deshalb vertritt Liebermann die Theorie, dass der menschliche Fuß evolutionär bedingt wunderbar an das Barfußlaufen angepasst sei und für lange Ausdauerläufe nicht unbedingt modernen Schuhwerks bedürfe. Der Humanbiologe vermutet sogar, dass ein Teil der Verletzungen von Läufern verhindert werden könnten, wenn sie nicht durch das Tragen moderner Schuhe zum Abrollen über die Ferse verleitet würden. Denn, das hat Liebermann in seinen Studien nachgewiesen, 75 Prozent der Menschen, die an Schuhe gewöhnt sind, sind sogenannte „Rückfußläufer“, sie setzen die Ferse zuerst auf. Menschen, die viel barfuß laufen oder erst im Erwachsenenalter zu Schuhläufern geworden sind, wie afrikanische Spitzenläufer zum Beispiel, setzen zuerst den Fußballen oder den Mittelfuß auf. Sie sind „Vorderfußläufer“.

Vor- und Nachteile

Für Maren Witt, Leiterin des Biomechanik-Instituts an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig, steht fest, dass das Barfußlaufen wieder mehr gefördert werden sollte. Allerdings nicht unbedingt beim Erwachsenen, der sein Leben lang in Schuhen gelaufen ist und dessen gesamter Bewegungsapparat an diese Art des Laufens angepasst ist, sondern eher bei Kindern in ihren lernsensiblen Phasen. „Man kann nicht sagen, dass das eine gesünder ist als das andere“, erklärt Witt, denn die Gesamtstrukturen des Körpers passten sich dem gewohnten Bewegungsmuster an. Wer immer in Schuhen läuft, läuft gut in ihnen. Erst wenn das Laufpensum erhöht oder das Training intensiviert würde, komme es zu schmerzhaften Überlastungen. Bei Rückfußläufern seien es die Knie, bei Vorderfußläufern die Achillessehnen, die häufig Probleme machen. Erwiesen ist, dass Sprinter und schnelle Mittelstreckenläufer den Fußballen aufsetzen. Die Fußmuskulatur wird aktiviert und stabilisiert den Fuß, die natürliche Beweglichkeit der Gelenke bleibt erhalten, das System sichert sich aus eigener Kraft.

Extreme Federungen zum Glück wieder out

„Im Schuh werden natürliche Reflexe, die eigentlich da sind, abtrainiert“, sagt Witt. Hightech-Schuhmodelle mit extremer Federung bezeichnet sie daher als eine „Fehlentwicklung“, die inzwischen aber ohnehin schon wieder überholt sei. Auch Gert-Peter Brüggemann, Leiter des Instituts für Biomechanik an der Deutschen Sporthochschule Köln, propagiert regelmäßiges Barfußlaufen. Aber als Trainingsform und nur auf weichem Untergrund. Er ist davon überzeugt, dass das Vorderfußlaufen nicht die natürliche Bewegungsform des Menschen ist, sondern nur im Spitzensport, auf hartem Untergrund oder beim schnellen Lauf verwendet wird. Fersenpolster und Längsgewölbe des Fußes seinen ja überflüssig, wenn nicht der ganze Fuß aufgesetzt wird, so Brüggemann. „Wäre der Vorfußlauf unsere natürliche Bewegungsform, wäre unser Fuß nicht so gebaut, wie er gebaut ist.“ Die 32 Knochen, die vielen Gelenke, Bänder und Muskeln wären überflüssig. Ein nur auf dem Ballen aufgesetzter Fuß sei instabil, die Haltung koste viel Muskelkraft. „Wir machen ja auch keinen Handstand auf den Fingerspitzen“, sagt Brüggemann.

„Es gibt kein perfektes System“
Für Maren Witt ist der zweibeinige Gang aber ohnehin „ein Konstruktionsfehler“. Ein Kompromiss, den die Evolution eingegangen sei, damit der Mensch die Vorderfüße für andere Arbeiten frei bekommt. Das habe die Statik des Körpers durcheinander gebracht und ihn anfällig für Überlastungen gemacht. „Es gibt kein perfektes System, in dem sich die Fortbewegung und die Freiheit der Hände vereinbaren lassen“, sagt Witt. „Mit dem zweibeinigen Gang haben wir uns den Fortschritt teuer erkauft.“ Also sollten wir nicht nur häufiger mal unsere Schuhe ausziehen, sondern auch wieder auf allen Vieren laufen? „Da sich auch die Proportionen des Menschen verändert haben, sähe das sicher putzig aus“, sagt Witt. Fortschritt bleibt Fortschritt, er lässt sich kaum rückgängig machen.

Aus:Rundschau-online.de

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