Winzlinge mit großem Gefahrenpotential

800 deutsche Firmen arbeiten mit Nanotechnik. Ein Gesetz, das ihren Einsatz regelt, gibt es nicht. Dabei könnten die Teilchen die Gesundheit schädigen.

Jeder isst sie, jeder trägt sie am Körper oder schmiert sie sich ins Gesicht. Obwohl sie noch niemand mit bloßem Auge gesehen hat, sind Nanoteilchen überall. Die industriell hergestellten Partikel sind winzig und können positive Wirkung entfalten: In Socken hemmen sie die Tätigkeit von Bakterien und damit üblen Geruch. Auf Schokoriegeln unterdrücken sie die Bildung eines Grauschleiers, in Sonnencremes halten sie UV-Strahlen ab.
Doch Experten des Umweltbundesamtes (UBA) warnen nun vor einer sorglosen Verwendung der Partikel, die neuerdings in immer mehr Produkten enthalten sind. In einer Studie, die an diesem Mittwoch veröffentlicht wird, berichtet das Amt von möglichen Risiken und rät, „die Verwendung von Produkten, die Nanomaterialien enthalten oder freisetzen können, so lange zu vermeiden, wie ihre Wirkungen in der Umwelt und auf die menschliche Gesundheit noch weitgehend unbekannt sind“. Das Amt fordert eine Kennzeichnungspflicht, damit der Käufer Nanoprodukte erkennen kann.

Nanotechnologie für den Hausgebrauch: Dank der speziellen Beschichtung mit Nanopartikeln läuft Honig von diesem Löffel ohne zu kleben ab. (Foto: dpa)

Den Experten zufolge sind Nanopartikel aus Metallen, Kohlenstoff oder organischen Verbindungen oft so klein, dass sie beim Einatmen bis in kleinste Lungenbläschen vordringen und dort zu Entzündungen führen können. Manche Teilchen gelangen von dort aus in die Blutgefäße und damit in jedes Organ des Körpers. In Tierversuchen, in denen sehr hohe Dosen an Nanopartikeln verabreicht wurden, wanderten die Teilchen bis in den Kern von Körperzellen und schädigten dort die Erbinformation DNS. Es gibt Hinweise, dass Nanoröhrchen aus Kohlenstoff Erkrankungen auslösen können, ähnlich wie Asbestfasern.
Auch für die Umwelt könnten laut UBA Risiken bestehen. So löst sich etwa bei Socken, die Nanosilber enthalten, bei jedem Waschgang die Hälfte der Partikel ab. Sie gelangen ins Abwasser und so in die Kläranlage. Wenn das Silber am Fuß gegen Bakterien wirkt, ist das eine gute Sache; in der Kläranlage sind Bakterien jedoch erwünscht. Die Experten sind darüber besorgt, dass das ausgeschwemmte Nanosilber die Funktion der Reinigungsanlagen stören könnte. Auch sei unklar, was passiert, wenn der Klärschlamm schließlich zur Düngung auf die Felder gekippt wird und die Partikel so in Nutzpflanzen und ins Grundwasser gelangen.
Nutzen nicht ausgeschlossen
Grundsätzlich steht das UBA der Nanotechnologie nicht ablehnend gegenüber. Viele industrielle Anwendungen, bei denen die Teilchen nicht in die Umwelt gelangten, seien unbedenklich. Zudem könnte die Nanotechnologie auch helfen, die Umwelt zu schützen, schreiben die Forscher. Viele Autoreifen enthalten etwa Nano-Rußpartikel, die den Rollwiderstand verringern, wodurch sich Treibstoff sparen lässt. Das Amt warnt jedoch vor zahlreichen Wissenslücken – die möglichen Gefahren der Nanotechnologie seien derzeit nicht abschätzbar.
Trotzdem kommen immer mehr Produkte mit Nanoteilchen auf den Markt. Allein in Deutschland arbeiten 800 Unternehmen mit Nanotechnik. Ein Gesetz, das den Einsatz regelt, gibt es nicht. Aufgrund einer EU-Verordnung müssen zumindest Nano-Kosmetika von 2012 an gekennzeichnet sein. Das UBA fordert nun neben einer generellen Kennzeichnungspflicht die Einführung eines Melderegisters für Nanoprodukte. Bis eine solche Regelung in Kraft tritt, sollten Konsumenten aber lieber keine Socken kaufen, deren Verpackung Geruchsfreiheit verspricht – und stattdessen ihre herkömmlichen Socken einfach häufig waschen, rät das UBA.
Von Martin Kotynek
Aus:sueddeutsche.de

Share

Hinterlass eine Antwort