Aikido-Die friedliche Kampfkunst-Vorwort

Ich war siebzehn Jahre alt, als ich das erste Mal von der merkwürdigen japanischen Kampfkunst Aikido hörte. Es war Krister, ein um einige Jahre älterer Freund, der erzählte, dass er es trainiert hatte. Wie ernst er das ganze nahm, begriff ich teilweise daraus, dass er so lange damit gewartet hatte, etwas von seinem Wissen preiszugeben – obwohl er sicher wusste, wie sehr das einem Teenager imponieren würde – und teils aus seiner behutsamen, feierlichen Art, von Aikido zu erzählen. Krister beschrieb etwas ganz anderes als eine Reihe von Tricks um einen doppelt so großen Gegner zu Fall zu bringen, auch etwas anderes als einen Sport, der zu einer gesunden Seele in einem gesunden Körper führt. Wovon Krister erzählte war eine Art zu leben – eine Kunst, eine Philosophie, ja eine Art Religion. Schließlich, als ich Kristers sowohl faszinierenden als auch unbegreiflichen Darlegung mit immer größeren Augen gelauscht hatte, musste ich ihn dazu bringen mir zu zeigen, wie das zuging. Auch da zeigte er sich erstaunlich widerwillig. Als ich eine Weile Techniken, ai hanmi katatedori nikyo, wobei mein Handgelenk auf eine solche Weise verdreht wurde, dass ich von dem stechenden Schmerz zu Boden fiel. Mein Handgelenk tat so weh, als wäre es ganz abgegangen, obwohl es unverletzt war, und sicher hatten die Knie von meinem abrupten Aufschlagen auf dem Boden blaue Flecken bekommen, aber ich war hingerissen von diesem einen: der Schönheit der Technik. Krister hatte seine Hand nur um die meine gewickelt, so einfach wie ein Schmetterling mit den Flügeln schlägt, wenn er auf einem Grashalm sitzt. Das war alles. Und ich fiel so abrupt auf den Boden wie durch einen Hammerschlag. Das war schön, mitten im Schmerz. Das war magisch, unbegreiflich, obwohl es so einfach aussah. Das wollte ich lernen. Als der Anfängerkurs im Herbst begann, stand ich da, in meinem blauen Trainingsanzug, aufgeregt und erwartungsvoll. Wie ein dunkelnder Himmel, auf dessen Hintergrund Stern um Stern sich für das Auge offenbart, so hat Aikido mir in den
Jahren immer größere Reichtümer enthüllt. Und doch glaube ich, dass dieser Halbwüchsige, der von Kristers nikyo zu Boden plumpste, faktisch alles sah, womit die Jahre von Training danach
mich bekanntmachten. Was folgte, war weder mehr noch weniger als Bekräftigungen – lebendige Bekräftigungen.Wie exotisch einige der Bewegungsmuster im Aikido auch sind, werden sie immer von einem Gefühl des Wiedererkennens begleitet. Wenn man es zustandebringt, dass die Technik irgendwie funktioniert, da ist sie nicht länger wie eine Vokabel einer fremden Sprache, die man nach stundenlangem Pauken endlich auswendig gelernt hat. Nein, sie ist ein alter Freund, der sich nach einer Weile Abwesenheit zeigt, oder ein kleiner Muskel, der lange geruht hat und jetzt wieder in Gebrauch genommen wird. Alle Geheimnisse des Aikido sind déja vu – man erkennt sie wieder. Wie kann das so sein? Vielleicht dürfen wir mit Platon sagen, dass der Mensch nichts lernen kann als das, was er in seinem Innersten schon von Anfang an konnte. Alle Weisheit ist von Geburt an in unseren Köpfen, wir müssen uns nur daran erinnern.
Das ist nicht wunderlicher als der Gedanke, dass etwas aus etwas kommen muss, niemals aus nichts. Eine solche Vorstellung ist mir nicht fremd, aber genauer ausgedrückt begreife ich in meinem Inneren, dass das Wiedererkennen einem bestimmten Umstand entspringt: das, was ich von Anfang an wiedererkennen und klar sehen kann – wie wenig ich es auch geübt habe – ist das Wahre. Was wahr ist, völlig wahr, wird unmittelbar von jedem Menschen wiedererkannt – wenn er nur will. Wenn ich irgend auf meine Sinnen vertrauen konnte, so wusste ich also vom ersten Augenblick an: Aikido ist wahr.
Malmö, im August 1992
von Stefan Stenudd

Share

Hinterlass eine Antwort