DORTMUND Die kleine Marie braucht eine Pause. Hans-Joachim Matusek reicht der Vierjährigen ein dickes, dunkelblaues Kissen und sagt „Doso“. Das ist japanisch und heißt „bitte“.
Ihr Aikido-Lehrer, angetan mit einem Hakama, dem typischen schwarzen Beinkleid, schaut aufmerksam zu, kniet sich dann vor seine Schützlinge und schlägt die vor ihm stehende Klangschale. Die Rasselbande ist schlagartig ruhig – eine Minute lang. Die Mamas und Papas, die der Übungsstunde ihrer Sprösslinge im Aikido-Dojo in der Dortmunder Körnighalle beiwohnen, schauen teilweise ungläubig. Eine ruhige Minute kann für kleine Racker seeehr lang sein.
„Ich bin ein glückicher Mensch“
„Ich bin ein glücklicher Mensch. Aikido ist mein Leben und meine Leidenschaft“. Eine, die dem Dortmunder nicht in die Wiege gelegt wurde. Aufgewachsen in einer (O-Ton Matusek) „typischen Ruhrgebietsfamilie: Mama Hausfrau, Papa Bergmann“, staunt Klein-Achim, als die koreanischen Nachbarn in der Bergarbeiter-Siedlung – in schwarze Kampfanzüge gehüllt – im Garten Hapkido, einen harten Kampfsport, üben.
Friedfertige Bewegungskunst
„Das Bild hat sich bei mir eingebrannt, mein Interesse war geweckt“. Karate, Taekwondo, Hapkido – Achim probiert alles aus und bleibt beim Aikido. „Die friedfertige Bewegungskunst und Lebensphilosophie haben mich fasziniert. Harmonie, Eleganz, es ist fast wie tanzen“, schwärmt Matusek. Von der Begeisterung bis zur Berufung aber war es ein weiter Weg. Der Dortmunder lernte erst mal „was Vernünftiges“, wurde Elektriker, dann Zeitsoldat bei der Bundeswehr, und über ein paar Semester Wirtschafts-Informatik macht sich der EDV-Spezialist in der IT-Branche selbständig.Mit Anfang 30 wartet Matusek europaweit für Großkunden Computer, baute in Frankfurt ein Investment-Banking-Center auf. Tag und Nacht, immer bereit. „Ich hab´ damals ´ne Menge Geld verdient“, erinnert er sich. Weihnachten 1997, in einem ruhigen Moment, war es vorbei mit dem alten Leben. „Ich habe gemerkt: Menschen und Geld, das sind zwei sehr verschiedene Sachen. Das Geld hat mir eigentlich nie was bedeutet, deshalb ist mir ganz leicht gefallen, den Job aufzugeben“. Es war ein Sprung ins eiskalte Wasser, aber eine Entscheidung des Herzens.
Matusek gründet, begleitet vom Kopfschütteln der Familie und Freunde, in der Dortmunder Nordstadt ein Aikido-Dojo, investiert viel Erspartes in Werbung – und wartet auf Interessenten. Und die kommen. „Ich hab´ bei Null angefangen“, erinnert sich Matusek. Gut 100 sind es inzwischen, zwei Drittel davon Kinder und Jugendliche. Diese Arbeit liegt ihm besonders am Herzen. Matusek geht auch in Schulen, lehrt Selbstbehauptung, Suchtprävention, Konfliktvermeidung.
„Sport ist eine echte Alternative. Kinder lernen Disziplin, sie lernen, die eigenen Kräfte zu spüren und die der anderen, sie lernen Koordination von Kopf und Körper, sie werden selbstbewusster“ – der Dortmunder sprudelt los und sagt dann mit einem Schmunzeln: „Suche dir einen Beruf, den du liebst, und du musst an keinem Tag in deinem Leben arbeiten“. Dennoch ist es ein täglicher Kampf. Der Japan-Liebhaber steckt all´ sein Geld und seine Energie in sein Dojo, lebt von Mitgliedsbeiträgen und lässt sich auch nicht entmutigen, als die angemietete Trainingshalle wegen Zwangsversteigerung geschlossen wird.
Zuhause in der Königshalle gefunden
Nach Intermezzo in der City ist das Aikido-Dojo inzwischen in der Körnighalle zuhause. Unten drehen Leichtathleten ihre Runden, oben lehrt Meister Achim die Kunst der harmonischen Bewegung. Inzwischen ist die Kinder-Stunde vorbei, Marie, Henning, Jaden und die anderen haben sich am Mattenrand verbeugt, schlüpfen wieder in ihre Bambusschläppchen und drängen ihren Lehrer mit leuchtenden Augen, doch endlich sein Weihnachtspräsent auszupacken.
Hans-Joachim Matusek lächelt. Sein größtes Geschenk hat er sich selbst vor zwölf Jahren gemacht. Beim Rausgehen verrät er noch: „Manchmal würde ich gern ein Buch schreiben. Der Titel könnte lauten: Auf dem Weg zum Reichtum – menschlich, nicht materiell“.
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