Vor einiger Zeit gab es einen jungen amerikanischen Universitätsabsolventen, der sich, nachdem er seinen Shodan im Aikido erworben hatte, entschloss, nach Japan zu gehen und dort zu trainieren. Um seine Reise zu finanzieren und sich akademische Sporen zu verdienen, bewarb er sich um ein Stipendium mit dem Thema “Die Geschichte des Aikido und seine Entwicklung aus anderen Kampfkünsten.” Die Bewerbung war so überzeugend,dass er ein einjähriges Stipendium der Fulbright-Stiftung erwarb. Nach einem zehnwöchigen Crashkurs in Japanisch am East-West-Center auf Hawaii machte er sich auf in das Land der aufgehenden Sonne.
Der eifrige junge Aikidoka wählte ein Dojo in Aomori, von dem er wusste,dass der Lehrer nicht nur ein hervorragender Aikidoka war, sondern auch andere Kampfkünste beherrscht. Dies, so dachte er, würde der beste Ort für sein Studium und sein Training sein. Nach seiner Ankunft nahm der Lehrer den enthusiastischen Amerikaner offenbar unter seine Fittiche. Einige der älteren Schüler des Dojos missverstanden dies. Einer von ihnen, ein Yondan, war besonders pikiert und hatte sich vorgenommen zu testen, wie gut das Aikido dieses Fremden war.
Eines Abends, kurz vor Ende des Trainings, als der Lehrer kurz von der Matte gerufen wurde, sah der Deshi seine Chance. Nach einem schnellen “Onegai Shimasu” begannen sie energisches Training. Das Tempo erhöhte sich und der Amerikaner spürte die Absichten des Deshi, und trotz seiner Erschöpfung nahm er sich vor eine gute Figur zu machen. “Es geht nicht nur um mich”, dachte er, “sondern auch darum zu zeigen, dass Aikido in Amerika auch so gut ist wie in Japan.” Der Deshi bemerkte den erstarkenden Widerstand seines Gegners und sah dies als unausgesprochene Akzeptanz seiner Herausforderung an. Die anderen Schüler begannen Abstand zu halten und versammelten sich um sie. Der Amerikaner griff mit ausgesteckten Armen an, um Ryote-Mochi auszuführen. Der Deshi wirbelte herum und brachte den Shodanmit einer Peitschenschlag-ähnlichen Bewegung vor sich. Mit einem Schlag mitder Schwerthand auf das verdrehte Handgelenk des Amerikaners warf er ihn auf die Matte. Dessen Reaktion war von der Erschöpfung verzögert, es gab ein schnappendes Geräusch und der Uke keuchte vor Schmerz. Nun freigegeben, sank der Amerikaner in Seiza und krümmte sich, sein Handgelenk an seinen Bauch gepresst.
Aufgeregt riefen die anderen Schüler: “Daijobu? Daijobu?” und umringten den verletzten Neuling, halfen ihm auf und brachten ihn von der Matte. Auf dem Gesicht des Deshi, der sich am Rande der Gruppe aufhielt, schien sich ein Hauch von Zufriendheit zu zeigen.
Kurz darauf stürmte der Meister herein und auf den verletzten Neuling zu, gefolgt von seinen Pflaster, Wasser und Verbandszeug tragenden Schülern. Vorsichtig hielt er das gebrochene Handgelenk und untersuchte es gründlich. Es herrschte nervöse Unruhe, aber niemand wagte etwas zu sagen oder sich zu entfernen. Innerhalb von 15 Minuten härtete die sorgfältig angelegte Kräuter-Gips-Mischung aus. Der Meister wischte seine Hände ab, trat nachdenklich beiseite und betrachtete seine nervösen Schüler. Der beunruhigte Meister richtete sich auf und sein Gesicht verfinsterte sich. Tief und beherrscht klang seine Stimme, dennoch mit der Kraft eines zornigen Kamisama. “Sore wa dame da! … “, schnappte er. In gebrochenem Englisch übersetzte ein Japaner dem nur teilweise verstehenden Amerikaner. Der Lehrer fuhr fort: “Dies entehrt das Aikido. O-Sensei verbannte solche Zusammenstöße aus Eitelkeit, Stolz und Wut …” Er richtete seinen Blick auf den verletzten Schüler: “Du hättest deine Fähigkeiten nicht überschätzen dürfen, nur um zu zeigen, dass Ausländer achtbar sind. Das ist Stolz. Nun musst du mehrere Monate warten, bevor du wieder trainieren kannst. Du hast wertvolle Zeit verloren…”
Der Meister wandte sich dem Deshi zu. “Das ist nicht das erste Mal,” sagte er drohend, “dass du die Kunst entehrst. Vor vielen Jahren verbannte O-Sensei Wettkämpfe vom Aikido, nachdem er einen großartigen Kampfkünstler in einem Duell eine schwere Verletzung zugefügt hatte. Als O-Sensei verstand, dass dieser Mann nie wieder trainieren würde können, sah er, dass Wettkämpfe in der Kampfkünsten destruktive Konsequenzen haben würden. Du hast den Ausländer aus Eitelkeit herausgefordert. Sein Widerstand schien dir unverschämt. Es war dein Ärger, der ihn rücksichtslos verletzte. Es gibt keine Entschuldigung für diesen Verlust an Kontrolle während des Trainings. Du wirst seinen Verlust teilen. Du wirst nicht in meinem Dojo trainieren, bis er wieder trainieren kann.” Der Lehrer sagte auf den Amerikaner zeigend: “Ihr beide werdet täglich zum Training erscheinen. Ihr werdet zusammen am Mattenrand sitzen und dem Training zuschauen. Das wird euch ermöglichen Einsichten in den wahren Geist des Aikido zu gewinnen und eure Unterschiede zu überwinden…”
Und so war es.
David Dimmick
Aiki News #23
Übersetzt von Stefan Schröder
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