Die Erkundung des Aikido des Begründers- 1.Teil

Während meiner Untersuchungen zu den Ursprüngen des Aikido ist mir schon früh aufgefallen, dass nur wenigen Aikido-Lehrern die Besonderheiten der Kunst des Begründers bewusst sind. Die Aikido-Pioniere der Vorkriegszeit Kenji Tomiki, Gozo Shioda, Kisshomaru Ueshiba, Koichi Tohei, Morihiro Saito, Seigo Yamaguchi, Michio Hikitsuchi und andere waren noch vor Morihei Ueshiba die Schlüsselfiguren, die großen Einfluß auf die Kunst genommen haben, die wir heute üben.
Morihei Ueshibas Unterrichtsmethode stand nicht mit der japanischen Nachkriegsgesellschaft im Einklang; seine Religiösität, seine häufigen Reisen und unregelmäßige Stundenpläne erschwerten es seinen Schülern einen vertieften Unterricht des Gründers zu erlangen. Hinzu kommt, dass Aikido sich in einer Zeit des Friedens entwickelte und verbreitete, die später in eine Zeit des bis dahin ungekannten wirtschaftlichen Wohlstands mündete. Ein derartiges gesellschaftliches Umfeld, dem jede Bedrohung durch Krieg oder eine andere physische Gefahr fehlt, führte dazu, dass das Aikido-Training nicht mehr die Intensität der beunruhigenden Vorkriegszeit erreichte. Vor dem Krieg waren Judo und Kendo weit verbreitet und wurden sogar an Schulen unterrichtet. O-Senseis Schüler der Vorkriegszeit waren also verglichen mit den Schülern der Nachkriegszeit viel besser auf ihr Training vorbereitet – körperlich wie geistig.
Es hat in den frühen Jahren des Aikido-Wachstums, beginnend in den 1950er Jahren, sicherlich exzellente Techniker und inspirierende Lehrer gegeben. Es gab auch jene, welche über die moralische Dimension des Aikido sprachen und wie es ein Fahrzeug für die Besserung von Individuen und der Gesellschaft sein kann. Die extreme Aufmerksamkeit, Schärfe und ungezügelte Ausgelassenheit, die der Begründer bei seinen Demonstrationen der Kunst zeigte, kann jedoch kaum irgendwo anders beobachtet werden. Gleichermaßen ist die religiöse Perspektive und das Selbstverständnis des Gründers, der sich als Werkzeug des “Kami” betrachtete, dessen Zweck die Herbeiführung von Frieden und Brüderlichkeit ist, eine zu großartige Vision für die meisten Aikido-Lehrer, die sich selbst eher als Anbieter von Selbstverteidigung und körperlicher Ertüchtigung sehen.
Niemand wird bestreiten, dass langjähriges entschlossenes Training durch nichts zu ersetzen ist – der Gründer ist hier das beste Beispiel. Doch was sind darüberhinaus die Besonderheiten von O-Senseis Kunst, die ihn von den folgenden Generationen seiner Schüler unterscheiden. Anhand von Standbildern aus einigen der Filme, die von ihm erhalten geblieben sind, möchten wir einige der Schlüsselelemente einfangen, welche die dynamischen Prinzipien des Aikido illustrieren.
Haltung
Beginnen wir mit der Haltung: Die Bilder des Gründers offenbaren jederzeit eine exzellente Haltung. Eine gute Haltung ist in den Kampfkünsten (und in beinahe jeder sportlichen oder körperlichen Aktivität) selbstverständlich unerläßlich. Die Übung mit dem Schwert hilft eine gute Haltung zu entwickeln, und wir haben schon an anderer Stelle das immense Interesse des Begründers an der Schwertkunst dokumentiert, welches sich bis in die Mitte der 1930er Jahre zurückverfolgen lässt.
Eine gute Haltung ist offensichtlich untrennbar mit einem guten Gleichgewicht und der Fähigkeit zur Entspannung verknüpft. Die freien und fließenden Bewegungen des Gründers gehen immer von einer aufrechten Haltung aus, denen jede Starrheit fehlt. Er kann sich so zur Ausführung einer Technik in jede Richtung bewegen, eintreten oder sich drehen
Awase
Das Konzept des “Awase” wird häufig von Aikido-Lehrern verwendet, wenn sie die Mechanik einer Technik erklären. [A.d.Ü.: Der Autor verwendet im vorangegangenen Satz statt “Awase” den englischen Begriff “to blend”, der soviel bedeutet wie “vermischen, vermengen, zusammenführen”. Im Deutschen wird an dieser Stelle nicht von “vermischen” gesprochen, sondern z.B. von “zusammenführen”, “parallelisieren”, “mitgehen”.] Damit ist üblicherweise gemeint, dass die eigene Bewegung in Richtung und Geschwindigkeit mit der Angriffsbewegung von Uke zusammenfällt. Ist dies erreicht, bringt Nage den Uke aus dem Gleichgewicht und führt daraufhin einen Wurf aus.
Tatsächlich ist dies nur eine oberflächliche Erklärung des “Zusammenführens”, so wie es der Gründer verstand. In diesem Szenario kontrolliert nämlich der Uke den Angriff, während der Nage in seinem Versuch die Führung zu übernehmen nur reagiert. Gegen einen kompetenten Angreifer, der sich schnell bewegen kann, reicht dafür die Zeit einfach nicht.
Auf einem höheren Niveau übernimmt Nage die Initiative und zwingt Uke seine “geistige” Führung auf. Uke kann dem psychologischen Druck Nages keinen sinnvollen Angriff entgegensetzen. Die hier erklärte Strategie äußert sich in einem natürlichen Stand mit geringfügigen Gewichtsverlagerungen, Metsuke (Blickkontakt) und der Veränderung des Atemrhythmus, um nur einige Beispiele zu nennen. Uke muss sich einem ständig ändernden Energiefeld anpassen und seinen Angriff daraufhin verändern.
Kiai / Atemi
Der Ausdruck Kiai kommt im Aikido-Training hin und wieder vor und bezeichnet einen “Kampfschrei”, der den Angriff eines Gegners unterbricht oder neutralisiert. Diese kraftvolle verbale Technik fällt zusammen mit dem Ausatmen und konzentriert den Körper und Geist Nages auf einen spezifischen Punkt. Ein gut ausgeführter Kiai unterbricht Ukes Ki-Fluss und der Angriff zerstreut sich. Oftmals wird Ukes Bewegung durch den Kiai für einen kurzen Moment eingefroren, so dass sich für Uke die Gelegenheit ergibt, eine Technik anzubringen.

O-Sensei verwendete den Kiai als ein Werkzeug, um Kontrolle über seinen Uke auszuüben, besonders wenn er Schwerttechniken zeigte. Der Gründer wendete diese Technik derart effektiv an, dass die Angriffe seiner Ukes häufig nur noch halbherzig erscheinen, da dieser durch den mit gutem Timing vollführten Kiai unterbrochen wurde.

Der Gründer setzte Atemi oder “präemptive Schläge oder Stöße” bis zu seinem Lebensende ein. Heute jedoch sind Atemi unüblich geworden. Ich glaube, dies ist auf ein Missverständnis hinsichtlich ihres Zwecks zurückzuführen. Ein Atemi kommt der aggressiven Absicht des Uke zuvor und ist ein Ablenkungsmanöver in Form eines Stoßes. Der Sinn des Atemi ist nicht zu treffen oder Uke zu “lockern”, bevor eine Technik angewendet wird. Der Atemi gleicht vielmehr dem Kiai, indem auf gleiche Weise Ukes Konzentration unterbrochen wird.
von Stanley Pranin
Published Online
Übersetzt von Stefan Schröder
Aus:Aikidojournal

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