Ein offener Brief an Norris, Seagal und Van Damme

Ich schreibe diesen Brief wegen eines kleinen Jungen. Dieser kleine Junge heißt John. Er ist mein Sohn. Ich habe in den letzten zwei Jahren und acht Monaten mit anschauen dürfen, wie er jeden Tag an Wissen, Stärke und Neugier gewann. Ich habe gemerkt, dass er sich die meisten seiner Fähigkeiten durch Beobachtung, Imitation und Wiederholung angeeignet hat. Deswegen fühle ich mich als sein Vater verpflichtet ihm eine positive und unterstützende Umwelt zu schaffen, um seine Fähigkeit zum Lernen bestmöglich zu unterstützen.
Vor einigen Tagen sass ich mit meiner Familie abends gemütlich vor dem Fernseher, um eine “Action-Komödie” anzusehen, welche die diesem Genre typischen Explosionen, Mord und Totschlag und Autoverfolgungsjagden beinhaltete. An einer Stelle des Films bemerkte ich, dass der kleine John von der Gewalt des Films abgestossen wurde und ich langte instinktiv zu ihm herüber, um seine Augen zu bedecken.
Das hat mir zu denken gegeben. Wir haben das wunderbare Medium Film, das Fernsehen und Video mit ihren enormen Potentialen zur Unterhaltung und zur Bildung. Leider zwingt uns aber das angebotene Programm zur ständigen Vorsicht, damit wir unsere Kinder vor dem ständigen Strom an Gewalt, Vulgarität und Pornographie schützen können. Ich glaube man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass Kinder —und Eltern nicht minder— stark von dem beeinflußt werden, was sie auf der Mattscheibe zu sehen bekommen. Die Lässigkeit der Unterhaltungsindustrie dieser Situation gegenüber erinnert mich sehr an den Standpunkt der Tabak-Industrie, die steif und fest behauptet, es gäbe keinen wissenschaftlich beweisbaren Zusammenhang zwischen dem Rauchen und den zahlreichen mit dem Rauchen in Verbindung gebrachten Krankheiten.
Herr Norris, Herr Seagal und Herr Van Damme, ich würde mich nicht bemühen sie zu behelligen, wenn sie keine “Kampfkünstler” wären oder, um es etwas poetischer auszudrücken, “Suchende auf dem Weg der Krieger”. Aus diesem Grund nehme ich an, dass sie durch ihre tödlichen Fähigkeiten ein tieferes Verständnis für und Einsicht in die Konsequenzen ihrer Handlungen haben. Sie drei haben durch Jahre der Anstrengung, des Schweisses und des Schmerzes ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten in den Kampfkünsten erworben. Sie haben diese Talente dann dazu genutzt, um ihre Zuschauer auf der ganzen Welt zu fesseln und so hunderte Millionen von Jugendlichen, die den größten Teil ihrer Fan-Gemeinde ausmachen, berührt. Der Einfluss über den sie so verfügen ist schwindelerregend und trägt ein beachtliches Potential zur Inspiration und Formung junger Menschen in sich.
Auch wenn die von ihnen auf der Leinwand dargestellten Helden viele bewundernstwerte Eigenschaften haben — Mut im Angesicht eines scheinbar unüberwindlichen Hindernisses, technische Expertise, körperliche Fitness — so glaube ich doch, dass die von ihren Filmen transportierte Nachricht in ihrem Kern negativ und destruktiv ist.
In ihrem Genre erwartet niemand Academy-Award-reife Performances oder die Porträtierung komplexer Charaktere, die subtile psychologische Entwicklungen durchlaufen. Und gleichwohl ihre Bildschirm-Alter-Egos gewöhnlich Helden sind, sind sie doch Helden, deren Gespür für Richtig und Falsch nur allzuoft verwischt ist und die nur allzuleicht zur Gewalt greifen. Ihre ausgedachten Gegenspieler sind schießwütige Killer, die lieber kämpfen als flüchten, selbst wenn ihre Taten zu Verletzungen und Tod führen. Ihre Entscheidungen im Angesicht einer fiktiven Gefahr bieten eine Auswahl an Möglichkeiten zur Problemlösungen im wirklichen Leben, die von beeindruckbaren Jugendlichen imitiert werden. Beängstigt sie diese Möglichkeit nicht und fühlen sie keine Verantwortung für den Vorbildcharakter, den ihre Rollen haben?
Ein Meister der Kampfkünste zeichnet sich sicherlich nicht durch die reflexartige Anwendung von Gewalt zur Lösung von Konflikten aus, sondern durch eine erhöhte Achtsamkeit und den Willen auf seine Fähigkeiten nur im äußersten Notfall zurückzugreifen. Ihre Film-Charaktere sind oft arrogante Selbstdarsteller, mit einem verzerrten Sinn für Gerechtigkeit, und somit zu einem großen Teil mit verantwortlich, für das schlechte Image, dass den Kampfkünsten vielerorts anhaftet.
Sie könnten zu ihrer “Selbstverteidigung” anführen, dass sie darauf keinen Einfluss hätten, da die Inhalte der Filme zu denen sie sich vertraglich verpflichtet haben, von den großen Bossen bestimmt werden. Das wäre auch einigermaßen überzeugend, wenn sie drei Neulinge wären. Sie sind aber ja nun längst berühmt, haben ihr Glück gemacht und sicherlich genügend an Einfluss gewonnen, um die Storys und den letztlichen Inhalt ihrer Filme zu gestalten. Sie sind Mega-Stars und damit tragen sie auch Mega-Verantwortung.
Eine andere Standardantwort, die oft als Erklärung für die Gewalt und Vulgarität angeführt wird, ist: “Wir geben dem Zuschauer nur was er sehen will.” Ich glaube, dass die heutige Welt schon so sehr von Massenmedien beeinflusst wird, dass das Publikum gar nicht mehr weiss was es will. Ich habe beobachtet, dass die Unterhaltungsindustrie das Publikum in beliebiger Weise führen und für das begeistern kann, wovon sie sich am meisten Profit versprechen. Sie müssen nur technische ausgefeilte Kost mit kräftigen und stimulierenden Bildern anbieten und schon wird das Publikum beinahe alles tolerieren. Die Filmzuschauer dieser Welt zeigen eine unglaubliche Toleranz für Gewalt, Vulgarität und Horror und haben wiederholt bewiesen, dass sie ihr hart verdientes Geld für das Privileg ausgeben, ihre Körper für neunzig Minuten der schmutzigen Welt der Unterhaltung hinzugeben.
Meine Herren, sie sind doch Väter, zwei von ihnen haben kleine Kinder. Was tun sie, um ihre Kinder von dem Stausee der unwillkommenen Stimulationen zu beschützen? Oder interessiert sie da nicht? Vielleicht glauben sie, dass die meisten ihrer Fans verstehen, dass es im Film nur um eine Traumwelt geht und dass ihre Fans sehr wohl die Wirklichkeit von der Fiktion unterscheiden können. Ich muss sie darauf hinweisen, dass unsere Zeitungen voll von Geschichten über Leute sind, die den Unterschied nicht treffen konnten. Was soll dann erst für die Millionen Kinder und Jugendlichen gelten, die jedes Kino belagern, um ihre Megahits zu sehen und die an ihren Lippen hängen und jede ihrer Taten und Worte verschlingen. Sie imitieren ihre Kleidung, ihr Verhalten und Sprache. Natürlich schwappt die Fantasie in die Realität über! Wer wollte das bestreiten?
Was bleibt, jetzt da sie die materielle Belohnung für ihren außergewöhnlichen Erfolg erhalten haben? An welche ihrer Eigenschaften sollen wir uns erinnern? Wenn sie jede Verantwortung für die Konsequenzen ihrer Handlungen ablehnen und auch die Qualität und das moralische Kaliber ihrer Filme nicht heben können, warum ziehen sie sich dann nicht zurück und ersparen uns und unseren Kindern weitere dieser Verwüstungen? Sind sie, die sie in ihren Filmen so gigantisch scheinen, in der Wirklichkeit nur Bauern auf dem Schachfeld derer, die aus ihren Muskeln und ihrem Mut Kapital schlagen. Ich würde gerne das Gegenteil bewiesen bekommen. Beweisen sie uns ihren Mut, Gentlemen!
von Stanley Pranin

Übersetzt von Stefan Schröder
Share

Hinterlass eine Antwort