Gewalt ist ihm zuwider

Kissing Es sieht aus wie Zauberei oder wie einstudiert. Christoph Colling geht mit einem knüppelharten Eichenholzstab auf Ralph Romer los. Anschließend mit einem hölzernen Messer. Jeweils wenige Sekunden später liegt der Braungurtträger auf dem Rücken oder Bauch, kann sich nicht mehr rühren und muss sich die Waffe aus der Hand winden lassen. Auch ein stürmisches Anrennen gegen den knienden Romer endet eher unsanft an der Wand, in unmöglichen Verrenkungen auf der Matte.

Bevor es richtig wehtut, Knochen und Sehnen brechen, klopft Colling lieber zweimal auf die Matte – Zeichen des Aufgebens. „Unser Bundestrainer Alfred Heymann, 70 Jahre alt, macht sich ein Spielchen daraus, die Angreifer kommen zu lassen, bis sie körperlich fertig sind, bis sie wirklich nicht mehr können“, erzählt Ralph Romer. Der 38-Jährige ist Gründungsmitglied und Abteilungsleiter einer im Landkreis Aichach-Friedberg einmaligen Sportvereinsabteilung: Aikido. Die Untergruppierung des Kissinger SC feiert kommendes Jahr ihren 25. Geburtstag.

Man kann sich bei obigem Spielchen gut vorstellen, dass da mancher dabei ist, den aus lauter Frust der Ehrgeiz packt und der doch keine Chance gegen den Bundestrainer hat. Heymann besitzt den 7. Dan – Romer den 2. und er weiß, dass er genauso chancenlos anrennen würde wie Colling bei ihm. Denn entscheidend ist die Technik, nicht die Kraft und Fitness des jeweiligen Sportlers. Das wiederum gefällt dem Kissinger besonders an Aikido: „Kinder können mit Erwachsenen, Alte mit Jungen, Frauen mit Männern trainieren.“ Wie anstrengend das sein kann, sieht man auch an der schweißbedeckten Stirn Collings, während Romer locker und entspannt wirkt.

„Wir versuchen, den Angreifer zu führen, ehe er merkt, dass er geführt wird“, erläutert der Schwarzgurtträger. Ausweichen, sich drehen, den Angreifer dazu zu bringen, mehr mit seinem Gleichgewicht zu kämpfen denn mit dem Verteidiger, das sind die Grundzüge. „Es stimmt schon, es sind viele Drehungen. Aber man versucht sofort, sich wieder zu orientieren.“ Wobei das Training zweimal pro Woche dazu dient, die Bewegungen zu automatisieren, „sie den Körper lernen zu lassen“, wie Romer sagt. Müsste der Kopf sie steuern, ginge viel zu viel Zeit verloren.

Die höheren Weihen erhält im Aikido, wer Waffen oder gleich mehreren Angreifern standhält. „Wenn aber im wirklichen Leben ein Messerheld auf mich zu kommen würde, würde ich mich umdrehen und weglaufen. Man weiß ja nicht, was das dann für ein Freak ist“, sagt Romer. Gelebte Deeskalation, schließlich hat der Kissinger eine Frau und zwei kleine Kinder. Gerne würde er mehr trainieren, aber der Bauingenieur (Prüfstatik) ist auch beruflich stark gefordert.

Den Vergleich mit Vertretern anderer Kampfsportarten würde er nicht scheuen. „Wir haben das sogar schon einmal probiert. Aber der Karateka sagte dann, wir sollten erst einmal in die Grundstellung gehen. Er wusste nicht recht, wie er den Kampf beginnen sollte“, erzählt der 38-Jährige.

Den Aikidoki geht es darum, die Gewaltspirale zu unterbrechen, jegliche Art von Konfrontation läuft dem zuwider. Darum gibt es keine Wettkämpfe, Punkte, Tabellenplätze und Ranglisten.

Wichtigstes Trainingselement sind Lehrgänge, bei denen man sich auf bestimmten Ebenen trifft. „Bei diesen Meistern trainierte ich schon: Larry Reynosa, 6. Dan, Schüler von Steven Seagal, 7. Dan Aikido, und Christian Tissier, 7. Dan Aikido“, so Romer

Die KSC-Abteilung versuchte im Jahr 2006, einen Weltrekord im Aikido-Dauertraining aufzustellen. 25 Stunden wurde auf den Matten geworfen, gerollt und geübt – Guinessworldrecords fand diese Leistung aber nicht für eintragungswürdig ins Buch. 75 Aikidokas aus ganz Bayern waren dabei.

Kontakt Ralph Romer Telefon (0 82 33) 79 59 36, ralphromer@gmx.de, www.aikido-kissing.de. Trainingszeiten: montags und freitags 19 bis 20.30 Uhr; Kinder und Jugendliche freitags 17.30 Uhr bis 18.45 Uhr; Trainingsort: Anbau der Paartalhalle
Aus:Augsburger.allgemeine.de

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