Interview mit Hitohiro Saito

Dieser Artikel wurde mit der freundlichen Unterstützung von Volker Hochwald aus Deutschland erstellt
“Wir sollten nicht mit der Tradition des Begründers brechen, nur weil Leute aus dem Ausland zu uns kommen.”
Hitohiro Saito (40) ist in Iwama geboren und begann im Alter von sieben Jahren mit dem Training. Als Kind lernte er bei Morihei Ueshiba und setzte sein Training dann unter seinem Vater Morihiro Saito fort.
Er hat sich der Erhaltung des spirituellen und technischen Erbes von O-Senseis Aikido gewidmet und hat sich in Japan, den USA, Australien und Europa einen Ruf als exzellenter Techniker und Lehrer erworben.
Wir konnten während dieses Interviews seine umfassende Liebe und seinen tiefen Respekt für seine beiden Meister (den Begründer und seinen Vater) spüren.
AJ: Hitohiro-Sensei, was sind ihre frühesten Erinnerungen in diesem Dojo?
Hitohiro Saito: Gewöhnlich habe ich mit O-Sensei zusammen gegessen und ich durfte haben, was er auf dem Teller ließ. Ich erinnere mich auch, dass ich in meiner Kindheit morgens nach dem Aufwachen weinte, weil meine Mutter nicht bei mir war. Sie war immer im Dojo, um O-Sensei zu helfen.
AJ: Es heißt, O-Sensei sei immer sehr ernsthaft gewesen.
An anderen Orten hat O-Sensei seine Techniken normalerweise nur vorgeführt, aber hier in Iwama hat er richtig unterrichtet und darin war sehr streng. Dann schrie er: “Was soll das für ein Kiai sein? Geht raus und guckt, ob ihr mit eurem Kiai eine Schwalbe vom Himmel holen könnt!” Oder, wenn jemand einen schlappen Yonkyo anwendete: “Geh’ raus und versuch es mit einem Baum! Solange bis die Rinde abgeschabt ist!”
Schon als Kind verstand ich durch die ihn umgebende Atmosphäre, dass er ein großer Mann war. Wir verneigten uns in dem Moment, wenn mein Vater losging, um O-Sensei abzuholen und blieben auf unseren Knien, bis O-Sensei eintraf, dicht gefolgt von Saito-Sensei. Wir erhoben unsere Köpfe, um uns gleich darauf mit O-Sensei vor dem Schrein des Dojos zu verneigen. Dann begannen wir unser Training mit Tai no Henko.
Wenn ich während O-Senseis Erklärungen neben meinem Vater saß, konnte ich aufgefordert werden, O-Sensei mit einem Shomen-Uchi-Schlag anzugreifen. Eines Tages sollte meine ältere Schwester O-Sensei attackieren, aber sie fing an zu weinen und verließ das Dojo, denn es war für ein Kind nicht leicht, O-Sensei auf diese Weise zu unterbrechen. Ich wurde an ihrer Stelle geschickt und schlug mit einem Kiai zu, worauf O-Sensei sagte: “So, bist du also gekommen.” Er warf mich, aber hielt meinen Kopf fest, so dass er nicht auf die Matte schlug. Er sagte: “Vorsichtig jetzt.” O-Sensei war ein so freundlicher Mensch.
Ich erinnere mich einmal im Garten gewesen zu sein und ihm beim Zähneputzen zugesehen zu haben. Dann plötzlich nahm er sein künstliches Gebiss heraus und sagte: “Das war lustig, oder?” (lacht)
AJ: Wie alt waren Sie da?
Ich war in der zweiten Klasse. O-Sensei war damals noch sehr kräftig und lebhaft. In seinen späteren Jahren hat er mehr Zeit mit dem Aufwärmen verbracht, aber als ich mit dem Aikido begann, hat er noch mehr Techniken unterrichtet.
AJ: Wann haben Sie sich entschlossen, ihr Leben völlig dem Aikido zu widmen?
Ich hatte kaum eine Wahl, da ich der einzige Sohn bin, auch wenn ich im Hinblick auf das Training faul war (lacht). Ich wollte für meinen Lebenunterhalt ein Restaurant eröffnen und nebenbei Aikido üben. Nach der High-School ging ich für ein Jahr nach Sendai um Kochen zu lernen. Danach war ich zwei Jahre in Osaka für weiteren Unterricht. Wenn ich frei hatte, ging ich in das Dojo von Seiseki Abe und lernte bei ihm auch Kalligraphie. Ich habe auch Bansen Tanakas Aiki-Dojo besucht.
Abe-Sensei übt Misogi indem er jeden Morgen kaltes Wasser über sich gießt, um seinen Seele zu reinigen. Er möchte mit seiner Kalligraphie wohl seinen asketischen Geist ausdrücken. Er hat O-Sensei erstmalig in Bansen Tanakas Dojo in Takahama getroffen. O-Sensei erkannte in ihm einen verwandten Geist auf dem Weg des Misogi und nahm das Studium der Kalligraphie bei ihm auf.
Wir haben Abe Sensei vor einigen Jahren besucht und sahen die außergewöhnlichen Werke von O-Sensei. Man bemerkt beim Betreten des Dojo eine spirituelle Atmosphäre.
Die Kalligraphien sind brillant, oder? Um mehr über O-Sensei zu lernen, sollte man seine Doka (Gedichte) lesen und seine Kalligraphien ansehen. Photos und Videos geben uns zwar ein Gefühl dafür mit O-Sensei verbunden zu sein, aber seine Gedichte und Kalligraphien reden auf eine feinere Art und Weise mit uns. Sie sind wirklich wundervoll und tiefschürfend.
AJ: Abe-Sensei kennt O-Senseis Gedichte sehr gut, oder?
Das stimmt. Ich hoffe er kann seine Pläne verwirklichen eine Reihe von O-Senseis Kalligraphien zu veröffentlichen und ein ihm gewidmetes Museum zu eröffnen. Als ich ein Kind war, hat Abe-Sensei Iwama oft mit seiner Tochter besucht. Er ist ein gelehrter Mann und kennt sich gut mit dem Kojiki (Aufzeichnungen Alter Dinge) aus, den ältesten japanischen Schriften über die Geschichte Japans, aus denen O-Sensei viel zitierte, wenn er Aikido erklärte. Abe hat mir viel über das Kojiki erzählt, aber da diese Materie sehr schwierig ist, ging es bei mir wohl leider zu einem Ohr hinein, aus dem anderen wieder heraus. (lacht)
AJ: Haben Sie während Ihrer Ausbildung in Sendai und Osaka auch Aikido geübt?
In Sendai trainierte ich unter Hanzawa-Sensei, in Osaka bei Abe-Sensei.
AJ: Haben Sie auch wie geplant ein Restaurant eröffnet?
Ja, 1978, aber ich war jung und ein Dummkopf und ich habe nachts viel mit den Kunden getrunken; ich habe auch nicht sehr ernsthaft trainiert. Das Restaurant habe ich sieben Jahre geführt, aber dann begann ich mich um meine Gesundheit zu sorgen. Ich beriet mich mit meinem Vater und er stimmte mit mir überein, dass ich dieses Geschäft aufgeben sollte. Er verreiste oft und brauchte jemanden, der das Dojo leiten würde, wenn er nicht da war. Das war vor 11 Jahren und seitdem bin ich Vollzeit-Aikido-Lehrer.
Vor 11 Jahren bin ich mit Saito-Sensei zu einem Seminar nach Dänemark gefahren. Letztes Jahr war das 10-jährige Jubiläum dieser Reise. Zu dieser Gelegenheit reisten wir wieder mit Saito-Sensei und einigen anderen Leuten aus Iwama dorthin. Es war ein großartiges Seminar mit 300 Teilnehmern.
AJ: Welchen Rat können sie Aikido-Übenden über die Grundlagen des Trainings geben?
Saito-Sensei lehrt, dass Taijutsu, Ken- und Jo-Techniken auf Hanmi basieren. Zuerst sollte man Hanmi beherrschen. Dann muss man einen richtigen Kiai lernen. Ich denke, ohne Kiai ist das Training schlecht. Der Begründer hatte einen unglaublichen Kiai. Wenn man das wahre Budo lernen will, kann man nichts verkehrt machen, wenn man versucht O-Sensei zu imitieren. Leider wissen viele Leute nicht viel über O-Sensei, aber ich tue mein Bestes ihnen von ihm zu erzählen.
Die Grundlage des Aikido ist sich selbst zu schmieden. Das geht nicht, wenn man gleich mit Ki no nagare (Ki-Fluss Übungen) beginnt. Das grundlegende Training besteht zunächst darin, dass der Partner einen festhält. Dies tut er aus Gefälligkeit. Der Partner widersetzt sich dir und erst dann kann man mit einer Technik beginnen. Das ist der erste Schritt auf dem Weg. Der Gründer hat gelehrt, dass man mit Tai no henko beginnen soll. Das Üben von Tai no henko sollte man nicht auch nur einmal vernachlässigen. Das lehren wir auch so hier in Iwama.
Es ist sehr wichtig, Tai no henko und Morotedori Kokyuho hart zu üben. Vorher kann man nicht einmal Ikkyo erklären. Wenn man sich auf dem vorderen Fuss dreht und die Rückseite öffnet, wie in Urawaza, dann sollte man eine korrekte Tai no henko-Bewegung ausführen. Bei dieser Bewegung berührt man mit den eigenen Zehen die Zehen des Partners. Der eigene Körper dreht sich um den großen Zeh des eigenen vorderen Fusses. Man muss sich korrekt drehen, nicht nur auf die alte Weise. Man muss sich präzise mit seinem Angreifer harmonisieren, nicht auf eine allgemeine und vage Art. Man muss am Anfang eine solide Basis schaffen.
AJ: Die Präzision des Anpassens ist ein wichtiger Punkt.
Jeder kann sich auf irgendeine Weise anpassen oder sich harmonisieren, aber man sollte gleich mit genaueren Formen beginnen, die sich am Ende ausdehnen bis zur universellen Harmonie, von welcher der Begründer gesprochen hat. Erst lernt man, wie man sich mit seinem Partner harmonisiert, “Zeh an Zeh”, dann wie man sich auf dem vorderen Fuss dreht. Wenn man weiß, wie man sich richtig dreht, dann kann man auch Urawaza-Techniken ausführen. Man kann die Dinge nicht mit Worten erklären; man kann sie nur durch Training meistern. Der Gründer sagte: “Das Training hat Vorrang.” Es ist nicht so, dass der Partner sich dir anpasst, du musst dich immer in allem ihm anpassen: “Bewegen, öffnen, die Führung übernehmen.” Das ist was O-Sensei Saito-Sensei beigebracht hat. Eine Abweichung von einem Zentimeter kann die Ausführung einer Technik unmöglich machen. Man kann die Technik nicht einfach ausführen wie man will. Es gibt eine definitiven Art und Weise wie eine jede Technik ausgeführt wird. Jeder, nicht nur die körperlich Starken, soll in der Lage sein, eine Technik auszuführen. Leider vernachlässigen die Leute Tai no henko. Ich kann durch das Zuschauen beim Üben dieser beiden Techniken feststellen, auf welche Art bei ihnen im Dojo geübt wird. Mehr brauche ich nicht zu sehen. Ich denke, alle Grundlagen im Taijutsu des Begründers sind in diesen beiden Techniken und Ikkyo enthalten. Es ist sehr schwierig jemanden zu finden, der einen perfekten Ikkyo ausführt. Ich weiss, das klingt anmaßend, aber ich denke man kann Aikido nicht verstehen, wenn man nicht ordentlich mit diesen Techniken beginnt. Wenn man Tai no henko nicht beherrscht, wird man auch bei den anderen Bewegungen immer mit seinem Angreifer zusammenstossen. Das Grundlagentraining dient dazu einen dazu zu bringen, dass man die Probleme, die durch falsche Körperbewegungen entstehen, selbst lösen kann. Es ist nicht möglich, das mit Worten zu erklären, aber es hat einen tieferen Sinn. Aber ich spüre, dass der einzige Weg dies zu lernen ist, seinen Partner fest greifen zu lassen.
AJ: In einigen Dojos zeigen die Lehrer eine Technik zwei-, dreimal und dann wird ohne weitere Erklärung geübt, aber in Iwama wird immer sehr detailliert erklärt.
Meister Saito erklärt seine Techniken genau, da er möchte, dass jeder Schüler die Techniken so schnell wie möglich lernt. Diese Methode ist das Ergebnis der Fehler, die er selbst gemacht hat, und aus denen er auch gelernt hat. In den letzten Jahren seines Lebens hat O-Sensei die Techniken schnell wie der Blitz ausgeführt und die Fähigkeit der Schüler daran bemessen, wie gut sie das verstanden haben. Saito-Sensei möchte, dass die Leute schneller lernen als er damals. Er unterbricht die Leute sofort, wenn sie einen Fehler machen und korrigiert sie. Das könnte er nicht, wenn er nicht selbst so intensiv trainiert hätte. Wenn der Partner immer nur nachgibt, kann man nicht beurteilen, ob die Technik richtig ausgeführt wurde. Durch entschlossenes Zupacken hilft man dem Partner zu prüfen, ob die Technik richtig ausgeführt wurde oder nicht. Das soll nicht heißen, dass man aggressiv und hinterhältig angreift, obwohl man die Technik natürlich auch dem anpassen könnte. Der Partner soll fest halten, aber korrekt, dann kann man die Führung der Kraft lernen. Das ist das grundlegende Training. Je nachdem, ob der Partner eher von oben oder eher von unten greift, immer gibt es eine angemessene Antwort. Wenn der Gegner angreift, führe ihn gekonnt. Man stellt seinem Partner den eigenen Körper während des Trainings zur Verfügung, so dass man ernsthaft üben kann.
AJ: Oftmals sagen die Leute, dass man seine Fähigkeiten im Aikido nicht ermessen kann, weil der Angreifer mitarbeitet.
Das stimmt nicht. Man kann in jedem Moment während des Übens sehen, ob eine Technik gut oder schlecht ist. Wenn man sich übermäßig anstrengen muss, wenn der Angreifer sich schwer anfühlt oder man mit ihm zusammenstößt, dann hat man ihn nicht korrekt geführt. Man sollte dann genau untersuchen was mit der Bewegung nicht gestimmt hat oder ob man nicht weit geöffnet hat. Man braucht keine Wettkämpfe, um festzustellen ob Techniken funktionieren oder nicht.
von Sonoko Tanaka

Aikido Journal #113 (1998)

Übersetzt von Stefan Schröder

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