Interview mit Kenji Shimizu 1. Teil

Kenji Shimizu war einer der letzten Uchi-Deshi von Morihei Ueshiba im Aikikai-Hombu-Dojo. Er gründete Mitte der 1970er ein unabhängiges Dojo in Sangenjaya, Tokyo, welches er Tendokan Dojo nannte.
Ich habe gehört, Sie haben Judo geübt, bevor Sie zum Aikido kamen.

Ich war früher engstirnig und dachte, dass Judo die einzige Kampfkunst sei. Der Nachteil von Judo ist die hohe Verletzungsrate und man kann sich nicht mehr verbessern, wenn man älter wird und seine physische Stärke verliert. Ich mochte Judo wirklich sehr und es war deprimierend festzustellen, dass meine Fähigkeiten nachließen. Auch junge Menschen können im Judo eine Verschlechterung erleiden.
Wie alt waren Sie, als Sie mit dem Judo begannen?

Das war 1953, da war ich 13. Ich war gut und übte regelmäßig, auch als Student an der Meiji-Universität noch. Als Junge übte ich Judo mit meinen Freunden und wurde stärker. Als ich älter wurde, nahm ich auch an Wettkämpfen teil und kämpfte dort gegen große und starke Wettkämpfer. Ich war herausgefordert und versuchte sehr hart zu gewinnen, aber ich konnte den Unterschied in der physischen Kraft nicht ausgleichen. Darum bin ich zum Aikido gewechselt und jetzt bin ich wirklich damit verbunden.
Wie haben Sie vom Aikido erfahren?

Herr Kaburagi, der Verwaltungsdirektor des Takanawa Geihikan, schlug mir vor Morihei Ueshiba-Sensei in Wakamatsu-cho, Shinjuku, zu besuchen, denn er sei der letzte Kampfkünstler, den es noch in Japan gebe. Ich hatte schon vorher viel von ihm gehört. Also habe ich gewechselt, aber das war gar nicht so einfach. Zum Beispiel gibt es im Judo Wettkämpfe, im Aikido nur die sich immer wiederholende Übung. Am Anfang dachte ich, Aikido wäre zu langsam. Im Judo kann man einen Gegner immer sofort werfen, sobald es eine Öffnung gibt. Im Aikido erlaubt man geworfen zu werden. Am Anfang konnte ich nicht verstehen, warum man darauf warten sollte, geworfen zu werden. Aber wenn sich die Technik verbessert, dann ist es in Wirklichkeit ganz anders.
Haben Sie anfangs am regulären Training teilgenommen?

Ja, darum hatte ich am Anfang große Zweifel. Auch wenn ich O-Senseis Aikido für wundervoll hielt, so kam er doch nicht oft ins Dojo als ich anfing. Andere Lehrer unterrichteten. Drei Monate später wurde ich ein Uchi-Deshi. Das war 1963, gleich nach meinem Universitätsabschluss.
Wollten Sie von Anfang an im Dojo leben?

Ja, aber ich war mir noch nicht sicher, ob ich Aikido weitermachen würde, da ich ja noch im Judo aktiv war. Ich glaube der derzeitige Doshu Kisshomaru Ueshiba fragte sich ernsthaft, ob ich weitermachen würde. Wir einigten uns, dass ich zunächst für drei Monate am regulären Training teilnehmen würde. So wie heute in meinen Dojos auch, geben viele Leute das Aikido auf, auch wenn sie anfangs fest entschlossen sind, weil Aikido eine so wunderbare Kunst ist. Manche Leute vermissen etwas. Manchmal wurde ich hart geworfen, obwohl ich keinen Widerstand geleistet hatte. Ich wollte das auch, wusste aber nicht wie. Deswegen habe ich manchmal Judo-Techniken benutzt. Dann hat O-Sensei mich gescholten: “Hier ist kein Judo-Dojo!” (lacht) Es gehört sich nicht jemanden hart zu werfen, der sich nicht wehrt. Es gab da schon ein paar grobe Leute. Ein Stück Knorpel an meinem Arm sticht immer noch hervor wegen so einem Grobian.
In meinem Dojo sind wir sanft mit neuen Schülern und streng mit fortgeschrittenen, um ihren Geist zu stärken. Ich möchte nicht, dass die neuen Schüler so behandelt werden, wie man mich behandelt hat. Die älteren Schüler sollen streng gegen sich selbst sein. Als ich noch Judo geübt habe, dachte ich nur ans Gewinnen. Aber da es im Aikido keinen Wettkampf gibt, habe ich mehr Zeit über mich selbst nachzudenken.
Haben Sie mit dem Judo in ihrer Heimatstadt begonnen?

Ja. Meine Heimat ist Tendo [Fukuoka-Präfektur] und es gibt dort im Nachbarort Iizukashi ein Dojo namens Tekisuikan. Der Lehrer dort, Isamu Niihara, hat zweimal das All-Japan Judo Tournament gewonnen. Er wog 265 Pfund bei einer Größe von sechs Fuß. Ich habe dort ein exzellentes Training genossen. Ich benutze mein Wissen über Judo als Grundlage. Mochizuki-Sensei hat mal das gleiche gesagt. Durch Judo lernt man Beweglichkeit. Ich sage meinen Schülern immer, dass sie, nur weil es keine Zweikämpfe gibt, nicht weniger wachsam sein dürfen. Auch wenn dies Kritik am Aikido und an mir selbst ist, so erscheint Aikido doch oft abgesprochen. Einer führt die Technik aus und der Empfangende kooperiert und fällt, auch wenn die Technik nicht richtig angewendet wurde. Mein Judo-Kollegen verstehen das nicht und sie sagen, Aikido sei eine “unechte Kampfkunst”. Aber sie verstehen die Grundprinzipien, die dahinter stehen.
Ich habe durch die Übung dieser beiden Künste gelernt, dass der Geist stark sein muss. Egal wie gut die Techniken beim Training sind, sie können im Notfall völlig nutzlos sein. Wenn man die Kontrolle verliert, sind die Techniken wertlos. Ich spreche nur ungern so über mich selbst, aber ich bin überzeugt, dass wahre Stärke nur durch das Ertüchtigen des Geistes mittels Techniken und der Kraft des Ki erlangt werden kann. Auch die Krieger der alten Zeiten konnten sich im Kampf nicht leichtfertig in den Tod stürzen. Ich denke, deswegen haben sie Zen geübt: Um sich Gelassenheit zu bewahren. Heute sagen manche, dass sie Zen praktizieren, nur um sich vor anderen zu produzieren. Aber früher war das eine Frage von Leben und Tod.
Man kann nichts daran ändern, aber die Übenden werden mit der Zeit immer nachlässiger. Man muss durch die Wiederholung der Techniken den Geist schulen. Wenn man nur auf die Technik achtet, wird man nicht stark. Ich glaube, man wird durch das gewissenhafte Wiederholen unterbewußt gestärkt. Früher, so kann man es in den Büchern über die alten Kampfkünstler lesen, galt man als stark, wenn man blutrünstig war. Daran zweifle ich aber. Eine wirklich starke Persönlichkeit muss ein solches Verhalten nicht zeigen.
von Stanley Pranin
Aiki News #77 (April 1988)
Übersetzt von Stefan Schröder
Share

Hinterlass eine Antwort