“Nein, nein, das ist die falsche Technik!”
“Na gut ihr beiden, setzt euch, das nächste Paar ist dran!”
“Nein, nicht da, setz’ dich dort drüben!”
“OK, jetzt mach du die Technik!”
Diese Szene beobachtete ich bei einer Aikido-Prüfung. Alles schien ganz normal, bis auf eine Ausnahme: Die Kommandos wurden alle in japanisch gegeben, obwohl keine Japaner dabei waren, der Lehrer war kein Japaner und das Dojo war viele tausend Kilometer von Japan entfernt.
Es schien seltsam, dass während des gesamten Tests die japanische Sprache benutzt wurde, nicht nur für die Namen der Techniken, auch für Anweiseungen und Rügen, wie die oben angedeuteten. Nicht so seltsam war das offensichtliche Unverständnis auf Seiten der Prüflinge, die offensichtlich nicht wußten, was sie tun sollten.
Der Prüfer sprach gutes Japanisch, aber fragte ich mich doch, warum er sich genötigt fühlte, diese Sprache unter diesen Umständen ausschließlich zu verwenden. Es schien ein Fall von: “Wenn du in Rom bist, mach’s wie die Japaner.”
Es ist selbstverständlich nicht meine Angelegenheit zu beurteilen, wie irgendjemand sein Dojo führt oder in welchem Umfang dort Japanisch verwendet wird, aber ich hatte den Eindruck, dass hier eine Art sprachlicher Imperialismus vorlag, auf den das Aikido leicht verzichten könnte. Einem Angehörigen der westlichen Hemisphäre zuzusehen, der bewußt oder unbewußt versuchte ein Japaner zu sein und dabei natürlich versagte, ist alles andere als ein harmonischer Anblick.
Der japanischen Sprache und Kultur durch Aikido näherzukommen, kann lehrreich und erfreulich sein und ist einer der vielen indirekten Nutzen dieser Kunst, aber einige Leute scheinen durch diese interkulturelle Erfahrung mehr zu verlieren, als zu gewinnen. In diesem Fall schien das erste Opfer ihr Sinn für Humor und ihre Fähigkeit über sich selbst zu lachen zu sein. Als Schüler sind sie häufig grimmig und unterstreichen ihr Training mit seltsamen gutturalen Lauten; als Lehrer sind sie extrem Rang-bewusst und dominant. Sie bellen ihre Kommandos, oft in Japanisch, und fordern besonderen Respekt ein. Aber warum?
Vielleicht fürchten sie sich, dass ihr Aikido seine Authentizität verlieren könnte, falls irgendetwas an den Anweisungen geändert würde, die sie wörtlich von ihren japanischen Ausbildern auswendig gelernt haben. Es kann auch sein, dass sie ihre Schüler beeindrucken und verblüffen wollen. Welches auch der Grund ist, das Ergebnis ist bestenfalls unnatürlich und der durchschnittliche Betrachter fragt sich, wann sie endlich darüber hinweg kommen.
Wo soll die seltsame Sitte des intensiven Gebrauchs der japanischen Sprache in westlichen Dojos enden? Werden die unglückseligen Schüler dieser Lehrer die Erlaubnis bekommen, wieder zu ihrer eigenen Sprache zurückzuschalten, wenn sie das Dojo verlassen oder vielleicht erst im Auto oder im Bus?
Zum Glück sind die meisten Japaner durchaus in der Lage über sich selbst zu lachen und ich bin sicher, dass viele der rigiden Einstellungen der westlichen Lehrer sie nur belustigen würden. Aber auch viele Japaner können einen heftigen Nationalismus an den Tag legen, was auch schon ohne das affige und übertriebene Verhalten einiger übereifriger Westler lästig genug ist.
Ich habe mal einen älteren japanischen Aikido-Lehrer sagen hören, dass die Worte “onegaishimasu” und “arigato gozaimasu” in jedem Aikido-Dojo auf der ganzen Welt verwendet werden, um den Unterricht zu beginnen und zu beenden. Er sagte, diese Ausdrücke müssten aufgrund ihrer “tiefen spirituellen Bedeutung” auf japanisch gesprochen werde, die in keiner anderen Sprache übermittelt werden könnte.
Ich hätte ihm sagen können, dass in wenigstens einem Dojo (meinem eigenen) keiner dieser Ausdrücke verwendet wird — die beiden japanischen Ausdrücke sagen nur “Bitte” (im Sinne von “Bitte trainiere mit mir”) und “Danke”. Es ist in ihnen nicht mehr Spirituelles enthalten als in ihren englischen [oder deutschen] Äquivalenten. In meinem Dojo beginnen wir den Unterricht mit einer schweigenden Verbeugung und beenden ihn mit einem englischen “thank you”; bisher sind wir für dieses Versäumnis der korrekten Verwendung dieser “unübersetzbaren” japanischen Begriffe weder vom Blitz, noch von einer Superladung Ki getroffen worden.
Ich will damit nicht sagen, dass wir die Aikido-Terminologie anglifizieren sollen, auch wenn ein solcher Schritt vielleicht im Interesse der Kunst läge, aber es scheint vernünftig, die eigene Sprache im Interesse der besseren Verständigung so oft wie möglich zu verwenden. Warum sollte man etwas, das leicht auf englisch gesagt werden kann, auf japanisch sagen.
Worin liegt der Sinn, Nicht-Japaner in Japanisch zu instruieren?
Es wurde argumentiert, dass eine gängige Aikido-Terminologie (in diesem Falle auf japanisch) zu einer großen Erleichterung führe, sobald Aikidoka weitere Reisen unternehmen. Wenn zum Beispiel ein Australier in ein Dojo in Deutschland kommt, würde er wenigstens die Namen der Techniken verstehen und wäre nicht völlig verloren. Ich halte von diesem Argument nicht sehr viel, immerhin sprechen mehr Deutsche Englisch als Japanisch. Und auf jeden Fall muss man den Namen einer zu übenden Technik gar nicht kennen, da ohnehin üblicherweise eine ganze Gruppe die gleiche Technik übt, so dass man sie leicht durch kurzen Blick erkennen kann.
Die übertriebene Bedeutung, die viele Japaner ihrer eigenen Sprache beimessen, ist das Thema eine Buches mit dem Titel Japan’s Modern Myth – the Language and Beyond von Roy Andrew Miller. Thema des Autors ist der mächtige Mythos, den die Japaner um ihre Sprache konstruiert haben, um ihr Nationalgefühl zu stärken, welches durch verschiedene historische Ereignisse erschüttert worden war.
Miller entlarvt gründlich und etwas scharf das Konzept der Reinheit der japanischen Sprache und bringt viele Beispiele, in denen die Sprache verwendet wird, um ziemlich unwissenschaftliche Behauptungen von Einzigartigkeit und Überlegenheit, zu unterstützten.
Aikidoka dürften auch Millers Kommentare zu Kotodama (oder auch Kototama, um O-Senseis Sprechweise zu verwenden), des sogenannten “Geistes der Sprache”, interessieren. Miller nennt dieses Konzept “einen grundlegend unberechtigten Versuch, die japanische Sprache als von anderen Sprachen grundsätzlich unterschiedlich erscheinen zu lassen.” (Diese Anmerkungen beziehen sich allerdings nicht direkt auf die religiösen Rituale des Kototama, wie sie in manchen Aikido-Schulen geübt werden.)
Als ich in Auckland einmal die Zweigstelle einer modernen japanischen Religion besuchte, war ich überrascht, dass – wieder einmal – alle Gebete auf japanisch gesungen wurden, obwohl keine Japaner anwesend waren. Der verantwortliche Priester war ein Immigrant von den Fiji-Inseln. Er leitete eine Heilungszeremonie, die viele Beschwörungen in ziemlich unbeholfenem Japanisch beinhaltete, welches er von einem in lateinischer Schrift abgefassten Skript las. Als ich vorschlug die Gebete zu übersetzen, damit die Leute verstünden, welche Segnungen ihnen zuteil werden, erhielt ich als Antwort: “Die Gebete funktionieren nur, wenn sie in japanisch gelesen werden, weil Japanisch die reinste Sprache der Welt ist.”
Man muss sich schon sehr über eine Religion wundern, die ihre Türen offensichtlich vor allen verschließt, die eine bestimmte Sprache nicht sprechen. Auf der anderen Seite, könnte es durchaus eine akustische Erklärung für die Wirksamkeit des Brummens bestimmter Töne geben, aber dann könnte man wohl eine weniger fanatische Erklärung der Sprachwahl abgeben.
Ich werbe hier nicht dafür, dem Aikido seinen kulturellen Boden zu entziehen, wie zum Beispiel durch das Tragen von Jeans und T-Shirts, statt Hakama und Dogi, und ich verstehe auch die Schwierigkeiten, die bei der Diskussion der Kunst auftreten, wenn man keine japanischen Begriffe verwendet. Aber unser Ziel sollte sicherlich eine bessere Kommunikation sein, nicht der pedantische Gebrauch der japanischen Terminologie mit allen Mitteln. Es ist bedauerlich, dass die Sprache als Mittel dazu verwendet wird, Macht über andere zu gewinnen.
Gerade Aikido mit seiner universellen humanistischen Philosophie müsste stark genug sein, eine Übersetzung in andere Sprachen zu ertragen, man kann es sich kaum anders vorstellen. Der Weg ist sowohl japanisch, wie auch international, er kennt keine engen nationalen Grenzen.
Ich bin trotz obiger Anmerkungen nicht gegen den Gebrauch der japanischen Sprache in Dojos außerhalb Japans; ich denke nur, dass sie mit gesundem Menschenverstand eingesetzt werden sollte.
Wieviel Japanisch man verwenden soll, ist eine Frage, mit der wir uns bei der Publikation des Aikido Journal immer wieder befassen müssen. Wir versuchen eine Liste mit Schlüsselbegriffen zu pflegen, die keine Übersetzung benötigen, während andere herauseditiert werden, welche Begriffe übersetzt werden und welche in einem Glossar erklärt werden müssen. Man stellte sich vor, das Wort Ki jedesmal zu übersetzen! Ein grässlicher Gedanke und dennoch müssen wir daran denken, dass viele unserer Leser nur geringe oder keine Kenntnisse der japanischen Sprache besitzen und wir denen klare Erklärungen schulden.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, unserem unermüdlichen Übersetzer Derek Steel zu danken, der den schwierigen Job hat, den größten Teil unserer Artikel aus der japanischen Ausgabe zu übersetzen. Viele Artikel sind so esoterisch, dass sogar japanische Leser Probleme mit dem Verständnis der Texte haben; diese Begriffe ins Englische zu übertragen ist sehr anstrengend und schwierig. Derek ist dies bewußt und er führt daher verschiedene Alternativen an, um jeden möglichen Blickwinkel zu erfassen. Mein Beitrag ist die Überarbeitung dieser Texte und oft müssen schwierige Entscheidungen getroffen werden, um eine Balance zwischen der korrekten Übersetzung und einer optimalen Verständlichkeit zu finden. (Falls es mal zu einer verwirrenden Übersetzung kommt, geschah dies wahrscheinlich durch meinen Eingriff.)
Grundsätzlich versucht Aikido Journal so wenig japanische Wörter und Begriffe wie möglich zu verwenden – und ich denke, so sollte es auch in allen Dojos außerhalb Japans gehandhabt werden – und wir fügen wichtige japanische Wörter und Konzepte nur in kleinen, genießbaren Dosen hinzu.
Wenn uns ein weniger bekannter japanischer Ausdruck beibehaltenswert erscheint, dann tritt unsere “nur-zum-ersten-Mal”-Regel in Kraft. Diese besagt, dass das erste Auftreten eines japanischen Ausdrucks in kursiver Schrift erscheint, auf den eine Übersetzung folgt. Bei jedem weiteren Auftreten im gleichen Artikel, wird der Begriff weder kursiv gedruckt, noch erklärt. Wenn japanische Begriffe darüber hinaus erläutert werden müssen, so werden sie in einem Glossar genauer erklärt.
Wir haben uns auch für die westliche Namensreihenfolge bei der Schreibung japanischer Namen entschieden, da dies in den englischsprachigen Medien die Regel ist — deswegen “Morihei Ueshiba” und nicht, wie man in Japan schreiben würde, “Ueshiba Morihei”.
Auch die Titel und Ehrenbezeichnungen, die Kampfkünstler oft tragen, stellen für uns ein Problem dar, da viele davon kein englisches Äquivalent besitzen. Wenn wir zum Beispiel dem Namen Morihei Ueshiba jedesmal die vollständige Liste aller Titel und Namen, die ihm zu unterschiedlichen Zeiten von unterschiedlichen Leuten gegeben wurden, beistellen würden, nähme das gleich mehrere Absätze in Anspruch. Im Interesse der Klarheit schreiben wir also manchmal allein den Namen, ohne das die Hinfortlassung der Titel respektlos sein soll.
Aikido Journal ist letzten Endes eine englisch-sprachige Publikation und es macht wenig Sinn, sie mit japanischen Wörten anzufüllen, wenn nur einige wenige unserer Leser sie verstehen können.
Der Shihonage funktioniert genauso gut oder schlecht, wenn man ihm einen anderen Namen gibt.
von David Lynch
Aikido Journal #111 (1997)
Übersetzt von Stefan Schröder
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