1.April, 2011 (Freitag): Japan kennt keine Aprilscherze, der 1. April ist in Japan die Zeit des Neubeginns. Kinder werden eingeschult, das neue Geschäftsjahr fängt an, Uni-Absolventen erleben ihren allerersten Arbeitstag, und ja, es ist die berühmte Kirschblütenzeit.
Am Samstag werde ich mit einigen Freunden, die ich während meiner Bewerbungsphase hier in Tokio kennengelernt habe, „Ohanami“ machen. „Ohanami“, wortwörtlich „Blüten anschauen“, ist ein Picknick (explizit mit Bier und Sake) unter Kirschblütenbäumen. Die wunderschönen rosaweißen Blüten der Kirschbäume, die dann überall zusehen sind, erhellen das Gesamtbild der Stadt und die Seele der Menschen und fangen ab Mitte April an, wie Schneeflocken auf den Boden zu fallen. Es ist eine der schönsten Jahreszeiten. Allerdings ist es zurzeit eigentlich zum Ohanami noch zu früh, weil die Kirschbäume hier noch gar nicht blühen. Wir picknicken trotzdem.
Zur Zeit herrscht in der Öffentlichkeit eine kleine Diskussion darüber, ob man sich mit solchen „feierlichen“ Aktivitäten zurückhalten sollte, im Gedenken an die Erbeben und Tsunami-Opfer. Shintaro Ishihara, der Bürgermeister von Tokio, hat offiziell angeordnet, nicht wie üblich extra Mülltonnen und Toilettenkabinen in den Tokioter-Parks aufzustellen. Jetzt sei es an der Zeit „den Schmerz der Mitbürger zu teilen“.
Das Gegenargument lautet, dass man gerade zu solchen Krisenzeiten Feste veranstalten soll, um die Menschen in den Krisengebieten zu ermutigen. Im Leitartikel der Nikkei-Zeitung wurde gestern ein interessantes Beispiel aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs erwähnt:
Zur Zeit des Zweiten Weltkrieges hieß es danach offiziell von der Regierung, man solle sparen und alle Feste absagen, kurzum, von allem was Spaß bedeutete, sollten die Menschen sich zurückhalten. Die Realität allerdings sah anders aus. Zwei Monate vor Kriegsende – zu der Zeit war Tokio bereits nur noch eine große verbrannte Ruine – fanden noch Konzerte statt, Filme wurden gedreht, Feste wurden veranstaltet. Mehr als sonst.
Der Autor des Artikels erinnert daran, dass solche Feierlichkeiten die Menschen ermutigen. Im Artikel heißt es, dass ein Soldat im Ausland durch den Brief seiner Mutter wieder Mut und Hoffnung für das Leben fand, als er darin las, dass man in der Heimat auf den abgebrannten Ruinen wie jedes Jahr ein traditionelles Fest feierte.
Der Alltag als Ermutigung, als Hoffnungsgeber, so die Botschaft des Artikels – ich finde das richtig. Ganz in diesem Geiste, und auch um den Konsum aufrecht zu erhalten, werde ich also morgen mittags zum „Ohanami“ gehen, und abends mit meiner Familie auswärts Essen. In diesem Sinne „Prost“ nach Deutschland, oder wie wir Japaner sagen: „aka kan-pai“.
Der Autor des Tagebuchs ist ein 29-jähriger Unternehmensberater aus Tokio. Den Namen des Autors hat die Redaktion auf seinen Wunsch hin geändert.
Aus:Handelsblatt.com
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