Japan schätzt Beethovens Neunte

Interview mit Dirigent Yutaka Sado
Der japanische Dirigent Yutaka Sado, der in der Tonhalle ein Solidaritätskonzert für die Opfer der Katastrophe in Japan leitete, hat das Beben selbst miterlebt. Demnächst wird er erstmals die Berliner Philharmoniker dirigieren. Damit erfüllt sich für ihn ein Traum.
Wo waren sie, als am 11. März in Japan die Erde bebte?

Sado Ich war in Yokohama auf Tournee mit dem BBC Philharmonic Orchestra. Im Moment des Bebens war ich in der Konzerthalle und habe die Erschütterungen sehr, sehr stark gespürt, es war ein furchtbares Gefühl. Die Kollegen des BBC-Orchesters waren auf dem Weg zur Konzerthalle auf der berühmten Brücke von Yokohama und haben noch viel mehr vom Beben gespürt. Sie haben mir erzählt, wie große Lkws vor ihrem Bus einfach umgekippt sind.

Sie haben 1995 auch das große Erdbeben in Kobe miterlebt.
Sado An dem Tag, als das große Erdbeben in Kobe passierte, war ich 60 Kilometer entfernt in Kyoto. Es ist mein Schicksal, dass ich bei diesen großen Beben nie im Zentrum des Unglücks, sondern immer ein Stück entfernt war.
Haben Sie jetzt in Yokohama gleich gemerkt, dass das wieder so schlimm wird?
Sado Ich habe sofort den Fernseher eingeschaltet, und als ich von der Stärke des Bebens hörte, wusste ich, dass es katastrophal wird, schlimmer als Kobe.

Sie haben sich nach dem Beben in Kobe mit der Gründung des Hyogo Performing Arts Centre (HPAC) aktiv für den Wiederaufbau der Region eingesetzt. Was planen Sie jetzt?
Sado Damals war ich als Dirigent noch Anfänger und wusste nicht, wie ich helfen konnte. Aber mein Schicksal war, dass ich meine Frau danach kennengelernt habe, die vom Beben betroffen war, und dann habe ich mit dem HPAC-Projekt angefangen. Diesmal bin ich als bekannter Dirigent in einer anderen Position. Ich denke, ich werde mit Kindern musizieren und Spenden sammeln. Und ich werde meine guten Kontakte in Europa einsetzen.

War das Ihre erste Idee: mit Musik helfen?
Sado Nein, zunächst war ich hilflos und habe mich gefragt: Was kann ich als Musiker überhaupt machen? Die Leute brauchen jetzt doch gar keine Musik. Aber dann kam der Anruf aus Deutschland, und der hat mir Mut gegeben. Vor allem, dass die Leute aus Europa ganz viel an Japan denken, gibt Kraft. Beethovens Neunte ist in Japan besonders beliebt.

Können Sie erklären, warum?

Sado Der Text von Schiller spricht etwas an, das gerade in diesem Moment besonders wichtig und kostbar ist: „Alle Menschen werden Brüder“ beschwört den Zusammenhalt aller Menschen in der Welt, und genau das spüren wir in dieser Zeit. Und es gibt noch einen wichtigen Satz: „Deine Zauber binden wieder . . .“ Mit diesem Zauber ist der göttliche Zauber gemeint, über die Grenzen der Religionen hinweg, und dann ist da noch das Wort „Freude“. Das bedeutet für uns Japaner nicht nur Freude, sondern auch das Durchhalten in schwieriger Zeit. Diese Haltung hat viel mit der Mentalität der Japaner zu tun, und deshalb legen wir in Japan so großen Wert auf die Neunte.

Sie sind im Mai wieder in der Tonhalle beim elften Symphoniekonzert zu hören. Können Sie etwas zum Programm sagen?

Sado Dieses Konzert findet statt im Rahmen von „150 Jahre Freundschaft Deutschland-Japan“, und deshalb stellen wir deutsche und japanische Musik einander gegenüber: Wir spielen ein Stück des sehr berühmten japanische Komponisten Takemitsu mit dem traditionellen japanischen Instrument Sho. Das ist ein leises Stück, im Kontrast dazu ist das zweite japanische Stück von Mayuzumi viel energischer. Es wurde komponiert während des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, und man kann deutlich diese Energie spüren. Westliche klassische Musik hat in Japan eine große Bedeutung.

Wie kamen Sie selbst zur Klassik?

Sado Ich habe sie sozusagen mit der Muttermilch eingesogen, denn meine Mutter hat Klavier und Gesang studiert. Und dass in Japan klassische Musik so beliebt ist, hat mit einer Japan-Tournee der Berliner Philharmoniker mit Karajan zu tun. Das war 1957 eine Sensation und hat die Liebe der Japaner zur westlichen klassischen Musik geweckt.

Sie dirigieren demnächst selbst erstmals die Berliner Philharmoniker. Was ist das für ein Gefühl?

Sado Als der Anruf aus Berlin kam, habe ich vor Stolz und Freude gezittert. Als ich in der sechsten Schulklasse war, habe ich meinen Lebenstraum aufgeschrieben. Ich schrieb: Ich möchte einmal Dirigent der Berliner Philharmoniker werden. Und dieser Traum wird jetzt wahr.
Aus:Rp-online

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