Pornos, Lexika und die Bibel: Die Japaner konsumieren fast alles als Manga. Jetzt gibt es erstmals auch eine Web-Zeitung in dem beliebten Comic-Format. Von der Todesstrafe bis zu korrupten Sumo-Ringern deckt „Manga no Shimbun“ das ganze News-Spektrum ab – und weckt sogar positive Gefühle.Sogar ein 78-jähriger Deutscher machte hier schon Schlagzeilen: Der Mann hatte versucht, 2,9 Kilogramm Rauschgift über den Flughafen Narita bei Tokio ins Land zu schmuggeln. Japans erste Manga-Zeitung „Manga no Shimbun“ protokolliert das Gespräch zwischen dem weißhaarigen Anzugträger und der japanischen Polizei folgendermaßen: Sprechblase Polizist: „Herr Heinrich, darauf können Sie nicht gerade stolz sein.“ Sprechblase Heinrich: „Ja?“ Sprechblase Polizist: „Sie sind der Älteste, der bisher am Flughafen Narita verhaftet wurde.“
Eine Tageszeitung in Comic-Form? Die Japaner sind daran gewöhnt, alle möglichen Inhalte in der Sprache der Bilder zu konsumieren – vom Porno über Wirtschaftslexika bis hin zur Bibel. Die Zahl gedruckter Manga lässt sich in Japan kaum beziffern – selbst in deutschen Buchläden füllen die japanischen Bildergeschichten Regale. Doch dass mit „Manga no Shimbun“ (was auf Deutsch schlicht Manga-Zeitung heißt) auch ein traditionelles Medium wie die Zeitung in Sprechblasen erscheint, noch dazu ausschließlich online – das ist selbst für Japan ungewöhnlich.
„Unsere Web-Seite verzeichnet immer mehr Besucher“, sagt Chefredakteurin Yuko Okamura, 34, in Tokio. Anfangs stellte sie nur einen Manga-Artikel pro Tag ins Netz, heute hat die Zeitung mehrere Ressorts. „Inzwischen bieten wir ‚Manga no Shimbun‘ auch über iPad und iPhone an.“ Die App der Manga-Zeitung für das iPhone habe es unter den kostenlosen Apps in Japan gar auf Rang eins geschafft.
Korrupte Sumo-Ringer
Vor allem den Pendlern in Ballungsräumen wie Tokio bietet die mobile Manga-Zeitung eine praktische Informationsquelle: Viele Japaner verbringen täglich zwei Stunden oder mehr in Zügen.
Die Themenauswahl von „Manga no Shimbun“ unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von normalen Tageszeitungen. Am unterhaltsamsten ist natürlich das Gesellschaftsressort mit den Verbrechensmeldungen und den Gerüchten über TV-Stars. Und natürlich ist der jüngste Skandal um Nippons Sumo-Ringer ein geradezu ideales Thema. Denn über wen ließe sich anschaulicher in Manga-Bildern berichten als über die dickleibigen Sumo-Kämpfer?
Weil einige der Sumo-Idole an illegalen Wetten teilgenommen hatten, verzichtete Japans Ringer-Vereinigung dieses Jahr darauf, die kaiserliche Trophäe, den „Tenno-Preis“, zu vergeben. Als Geste kollektiver Reue bekam der Sieger, der Sumo-Star Hakuho, stattdessen nur eine schlaffe Fahne überreicht. In der entsprechenden Bildergeschichte wischt er sich eine Träne aus dem Auge. Aus der Sprechblase tönt es zerknirscht: „Die Nationalhymne erklang, ich sah vom Ring auf, aber es gab keine Trophäe – jammerschade!“ Die triste Siegerehrung gehört zu den populärsten Meldungen im Sportteil der Manga-Zeitung.
In der Sparte Weltnachrichten sind derzeit die Flächenbrände in Russland ein Thema, das sich besonders gut in Bildern erzählen lässt, noch dazu in Farbe: „Heissss!“, tönt es aus der Sprechblase, die eine strohblonde Russin mit langer Nase von sich gibt. Tränen quellen ihr aus den Augen, Schweiß läuft über ihr Gesicht.
Die Manga-Zeitung erscheint online, die Web-Seite wird täglich mehrmals erneuert. Doch so aktuell wie eine Nachrichten-Web-Seite oder eine normale Tageszeitung kann Japans Manga-Zeitung natürlich nicht sein: Nachrichten zu zeichnen dauert eben länger als sie nur aufzuschreiben. Rund 50 Zeichner beschäftigt „Manga no Shimbun“, um die Nachrichten in Comic Strips umzuarbeiten. Fast alle sind freie Mitarbeiter.
Todesurteile in Sprechblasen
Die Verzögerungen nehmen die Leser der Manga-Zeitung gerne in Kauf. Die meisten sind Männer in den Endzwanzigern und älter, sagt Okamura. Damit deckt sich die Zielgruppe weitgehend mit dem durchschnittlichen japanischen Manga-Leser. Gerade diese Klientel, die normalerweise keine Zeitungen liest, will Okamura begeistern.
Bei weniger bildtauglichen Themen behilft man sich mit Kunstgriffen. Zum Beispiel bei der Meldung, dass die Subventionen für den Kauf spritsparender Autos auslaufen wird – eine Art japanische Abwrackprämie: In „Manga no Shimbun“ wird daraus das Gespräch eines Paares bei der Zeitungslektüre. Am Ende ballt die Frau entschlossen die Faust und ruft: „Auch wir müssen uns noch schnell ein Ökoauto kaufen.“ Der Mann entgegnet: „Sollten wir nicht lieber erst einmal den Führerschein machen?“
Und auch die Nachricht, dass Ende Juli erstmals unter der Regierung der Demokratischen Partei (DPJ) zwei Todesurteile vollstreckt wurden, ist als Gespräch unter Passanten aufbereitet. Das wirkt ein wenig gekünstelt, aber ähnlich geht es ja auch schreibenden Journalisten: Nicht immer finden sie in ihren Texten die passenden Bilder.
In jedem Fall wolle die Manga-Zeitung vermeiden, durch die Art der bildlichen Darstellung Emotionen aufzuheizen, sagt Okamura. „Allein dadurch, dass wir zum Beispiel eine Landschaft besonders idyllisch zeichnen, oder ein Gesicht lächelnd darstellen, wecken wir schon bestimmte Gefühle bei den Lesern.“ Gerade eine Manga-Zeitung müsse ihre redaktionelle Verantwortung daher besonders ernst nehmen.
Wie viele Besucher die „Manga-Zeitung“ anklicken und wie viel sie durch Werbung verdient, will Okamura zwar nicht verraten. Aber es gehe stetig aufwärts, sagt sie. Zurzeit sucht sie über ihre Web-Seite nach weiteren Manga-Zeichnern. Und ab Oktober soll „Manga no Shimbun“ auch auf Englisch erscheinen.
Aus:Spiegel.de
Neueste Kommentare