Wie man gesittet in Japans Thermalbädern abtaucht

Oben Eis, unten heiß: Thermalbaden in Japan will gelernt sein. Wie alles Traditionelle hat in diesem Land auch die Badekultur ihre Rituale, von denen man nicht abweichen sollte. Fallstricke und Fettnäpfchen gibt es für Europäer also genügend. Thermalbaden in Japan will gelernt sein. „Beim Anziehen des Umhangs müssen Sie unbedingt die linke Seite über die rechte wickeln. Sonst gelten Sie als Leiche und machen sich unmöglich“, sagt die Bademeisterin, die eine versierte Meisterin des Badens ist. Wie alles Traditionelle hat in diesem Land auch die Badekultur ihre Rituale, von denen man nicht abweichen sollte. Fallstricke und Fettnäpfchen gibt es für Europäer also genügend. Doch die Japaner haben Geduld und lächeln.

Wir sind in Ikaho in der Provinz Gunma, das Wasser in unserem Pool ist eine hellbraune Brühe und 42 Grad warm. Es fühlt sich wunderbar weich an und sorgt während der zwanzigminütigen Badezeit für herrliche Entspannung, die noch Stunden anhält. Wie Terrassen sind die hölzernen Badebecken unter freiem Himmel an den Hang gebaut. Der Blick schweift weit über das verschneite Land auf die dreitausend Meter hohen Gipfel der Japanischen Alpen im Westen der Insel Honshu. Statt Stadt- und Verkehrslärm hören wir andere, gedämpfte Klänge, ungewohnte Geräusche: Schnee, der von den Dächern rutscht; Tiere, die durch den Schnee huschen; menschliches Stapfen auf gefrorenem Boden.

„Yukimi buro“, Schneebad, nennen die Japaner dieses Erlebnis, und es ist für sie das Nonplusultra des Thermalbadens. Wenn zur Winterzeit in Tokio Nebel und Regen einfallen, dann träumt sich jeder in einen Onsen, einen der typischen Kurorte im Gebirge. Dort fällt der Niederschlag als Schnee, und die Mineralquellen sorgen für Wärme auch bei eisigen Temperaturen. Bis zu den Schultern sitzen wir auf Geheiß der Bademeisterin deshalb im heißen Wasser, nur die Köpfe schauen heraus. Das erhitzt den Körper und erfrischt den Geist.

Wir übernachten auf traditionelle Art in einem Ryokan, einem klassisch japanischen Kurhotel mit dünnen Wänden, Schiebetüren und Reisstrohmatten auf dem Boden. Gleich nach Bezug des Zimmers legen wir die Alltagskleidung ab, ziehen die Yukata, eine Art Kimono, an und achten darauf, dass wir uns nicht durch falsches Wickeln gedankenlos zur „Leiche“ machen. Darüber kommt der Haori, eine leichte Jacke mit weiten Ärmeln. In dieser Kluft bewegen wir uns fortan durch den Ryokan und auf dem Weg zum Bad. Am Anfang der eigentlichen Badeprozedur steht eine sorgfältige Reinigung des Körpers im Vorraum, dann steigt man zum Auftaktbad ins Wasser.

Früher badeten Männer und Frauen nackt gemeinsam, eine Tradition, die die Japaner „konyoku“ nennen. Aber Mitte des 19. Jahrhunderts, nach der japanischen Öffnung zum Westen hin, wurde diese Sitte von den prüden Engländern und Amerikanern als „barbarisch“ bezeichnet; und weil die Japaner diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen wollten, wurde immer häufiger getrennt gebadet. Nur wenige Orte halten bis heute noch am gemeinsamen Bad fest. Ein wenig verblasst ist auch die Verbindung des Badens zur Religion. Heißes Wasser aus der Erde wurde von alters her als etwas Göttliches angesehen, und so hat der Schintoismus zahlreiche Götter in den Onsen ausgemacht und ihnen dort entsprechende Schreine gewidmet. Pilger reinigen sich noch heute zunächst im Thermalwasser, bevor sie am Schrein ihre Gebete und Wünsche für die Zukunft präsentieren.

Auch die Samurai stiegen vor und nach dem Kampf ins heiße Bad, um sich zu stärken, ihre Wunden zu lecken oder göttlichen Beistand für die nächste Schlacht zu erbitten. Sogar die Makaken, eine Affenart, suchen zur Winterzeit warme Quellen auf, um sich zu wärmen. In der Nähe der Olympiastadt Nagano hat eine ganze Horde von mehr als 200 Tieren ein großes Thermalbecken zum winterlichen Standquartier auserkoren.

Dem nachmittäglichen Bad folgt im Ryokan ein frühes Abendessen, das traditionell als Kaiseki bezeichnet wird, ein Menü mit zahlreichen Gängen und Dutzenden kleiner Gerichte. Das Essen soll Gang für Gang harmonisch über den Tisch fließen wie ein gewundenes Bächlein durch einen japanischen Garten. In unserem Ryokan „flossen“ Zitronenwein, roher Thunfisch und Stachelmakrele, Krabben, Süßkartoffelklößchen, im Onsen-Wasser gekochtes Rinderfilet, grüner Spargel, Blumenkohl, Tofupudding, Ginkgonüsse, Forellenröllchen, eingelegte Gurken, Nudelsuppe und gebackener Bohnenstich.

Tagsüber stärkt man sich bei einem Stadtbummel gern mit Onsen Manjyu, süßen Reisküchlein, die im Thermalwasser gedämpft werden und dadurch eine dunkelbraune Farbe annehmen. In vielen Kurorten kommt deshalb zusätzlich zum Dampf des Wassers aus manchen Häusern auch noch der Dampf aus den Manjyu-Töpfen der Bäckereien. Und wer eine Weile nicht zu seiner bevorzugten Quelle fahren kann, kauft sich für die heimische Badewanne Yunohana, ein Pulver, das aus den mineralischen Ablagerungen des Onsen destilliert wird.

In ganz Japan gibt es nicht weniger als 3200 Kurorte mit mehr als 30.000 Quellen. Sie sind salzig oder schweflig, eisen-, kupfer-, aluminium- und kohlensäurehaltig oder auch radioaktiv. Die Wasserfarben variieren von transparent über Weiß und Gelb bis dunkelbraun. Das Wasser soll gegen alle erdenklichen Krankheiten helfen und bei Männern und Frauen sogar gegen Unfruchtbarkeit wirken. Der Begriff Wellness darf also in Japan auch in Zukunft ein Fremdwort bleiben, denn hier ist Entspannung und Gesundheit für Körper und Geist im Bade seit Jahrhunderten eine Selbstverständlichkeit.

Dutzende, manchmal Hunderte von Hotels und Pensionen säumen in den Kurorten die Quellen. Wo das Wasser besonders heiß und üppig aus dem Boden sprudelt, wird es auch zum Heizen der Gebäude und als Fußbodenheizung unter Bürgersteigen und Straßen verwendet.

Jeder Onsen besitzt neben den privaten Bädern auch mindestens eine öffentliche Badeanstalt. Im Shibu Onsen in der Umgebung von Nagano stehen den Gästen sogar neun verschiedene Anlagen zur Verfügung. Ein Schlüssel, der uns von den Gastgebern ausgehändigt wird, öffnet alle Türen zu den plätschernden Wasserbecken. Aber Achtung: Das Wasser ist hier so heiß, dass wir ungeübte Onsen-Besucher es nur verdünnt mit kaltem Wasser ertragen mögen. Die Japaner können sich ein klammheimliches Lächeln darüber nicht verkneifen, weichen aber wiederum keinen Millimeter von ihrer freundlichen Nachsichtigkeit ab.

Aus:Welt online

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