Wie werde ich so alt wie ein Japaner? 1.Teil

Kein Volk auf der Welt wird älter. Allein 23.038 Japaner sind heute 100 Jahre oder älter.

Warum werden ausgerechnet die Japaner so alt? Wieso nicht die Franzosen oder die Mexikaner? Wegen ihrer Gene? Weil sie kleiner sind? Weil sie Sumoringen spannender finden als Fußball? Oder sind es ihre Lebensgewohnheiten? Einige Kleinigkeiten, die sich am Ende auf Jahre addieren lassen? Wir wollen die Antworten und fliegen hin. Nach Tokio. Um die Menschen zu fragen. Möglichst viele. Wo ginge das besser als in der U-Bahn? Mit drei Millionen Fahrgästen täglich.Geheimnis 1: Sicherheit
»Herausstehende Nägel werden eingeschlagen« (japanisches Sprichwort) U-Bahn fahren in Tokio geht so: Sie stellen sich vor einen Fahrscheinautomaten und versuchen gar nicht erst, lateinische Buchstaben zu finden. Drücken Sie wahllos einen Knopf und bezahlen Sie den angezeigten Betrag. Sie werden nicht mehr berappen müssen als umgerechnet 1,50 Euro. Nehmen Sie das Ticket und stecken Sie es in den Schlitz an der Schranke zum Bahnsteig. Sie wird sich öffnen, auf der anderen Seite kommt ihr Ticket wieder raus. Nehmen Sie es mit.

Willkommen im verrücktesten, modernsten, vollsten, spektakulärsten U-Bahn-System der Welt! Schnell werden Sie für zwei Dinge dankbar sein. Erstens, dass Sie größer sind als der Rest der Menschen dort – das garantiert nämlich den Überblick im Gewirr Hunderttausender, die jeden Neuankömmling mit sich reißen und deren schwarze Häupter wie ein zu Leben erwachter Flokati dahinwabern. Und zweitens, dass Tokio kaum Kriminalität kennt.

In keiner anderen Stadt würden Sie sich in diesem Gedränge wohl fühlen. Sie hätten keine Muße, während Sie Hosen- und Jackentaschen, Kamera und Pass bewachen. Doch Angst ist hier unbegründet. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie hier mit einem zweiten Mobiltelefon in der Hosentasche aus der Bahn steigen, weil im Gedränge jemand Ihre Tasche mit der seinen verwechselt hat, ist größer, als dass bei Ihnen auch nur der Fahrschein fehlt. Wie weit dieses Vertrauen geht, sehen Sie am deutlichsten an den Japanern selbst. Die Menschen steigen in die Bahn und schlafen ein. Alle. Immer. Die Tokioter U-Bahn ist das größte Schlafzimmer der Welt.

Kindergartenkinder von fünf Jahren fahren alleine U-Bahn und junge Mädchen mitten in der Nacht. Niemand muss Angst haben vor Überfällen, Hooligans, Päderasten. Tokio benimmt sich.
Feste Regeln: Es gibt ein Sprichwort, das die japanische Gesellschaft gut beschreibt: „Herausstehende Nägel werden eingeschlagen.“ Japaner halten sich viel stärker an Regeln als wir Europäer, um nicht aus der Gruppe hervorzustechen. Und sie gehören gleich zu mehreren Gruppen: zu einer Familie, zu einer Schule, zu einem Dorf, zur Abteilung in der Firma, zu den Jungen oder den Alten. In jeder Gruppe gibt’s Regeln, und fast keiner verstößt gegen sie. Weil er sonst nämlich eben jener Nagel wäre, der heraussteht.

Das kommt uns Europäern merkwürdig uniform vor, hat aber zählbare Vorteile. Tötungsdelikte etwa gab es im Jahr 2003 in Japan nur 1452, in Deutschland waren es 2541 – obwohl es mit fast 128 Millionen rund ein Drittel mehr Japaner gibt als Deutsche. Weniger Verkehrstote, weniger Unfälle, weniger Obdachlose, weniger Schlägereien – nüchterne Fakten, die sich jedoch positiv auf die Lebenserwartung auswirken. Wer sicher lebt, lebt länger. 2070 Brandstiftungen dort stehen 30 308 bei uns gegenüber, 7664 Raubdelikten in Japan 59 782 hier zu Lande.

Wenn Sie an Ihrem Zielbahnhof ankommen, müssen Sie das Ticket an der Schranke wieder in den Schlitz schieben. Rechnen Sie aber nicht damit, dass die Schranke aufgeht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie das richtige Ticket gekauft haben, ist bei 266 Bahnhöfen äußerst gering. Darüber hinaus haben Sie, wenn Sie einmal umsteigen mussten, mit Sicherheit die Zuggesellschaft gewechselt, es gibt nämlich zwei in Tokio. Rammen Sie Ihr Bein gegen die Schranke – es bedarf nicht viel Kraft, um den Panik-Mechanismus auszulösen. Dann geht die Schranke auf.
Redakteur Jan Spielhagen –
Aus: MenHealth.de

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